Trotz des beispiellosen Vorgehens der türkischen Führung gegen ihre Kritiker hält die EU am Flüchtlingspakt mit Ankara fest. Die EU-Staats- und Regierungschefs erklärten am Donnerstagabend nach dem Gipfel in Brüssel, eine „vollständige Umsetzung aller Aspekte“ der Vereinbarung vom März sei wichtig.

Die EU hält weiter am Flüchtlingsdeal mit der Türkei fest. Beim EU-Gipfel am Donnerstag haben die 28 Staats- und Regierungschefs ihre Verpflichtung zum Deal bekräftigt und die Unterstützung für die Staaten der Westbalkan-Route erneuert. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan drohte dagegen mit alternativen Plänen, sollte die EU die Visafreiheit für türkische Staatsbürger doch nicht einführen. „Sollten Versprechen gebrochen werden, wird die Türkei ohne Zweifel einen ,Plan B‘ und einen ,Plan C‘ haben.“

Bestätigt wurde der gemeinsame Aktionsplan für die Umsetzung des EU-Türkei-Deals, der zwischen Griechenland und der Kommission ausgearbeitet wurde. Dabei wird begrüßt, dass Griechenland erste Schritte zur Umsetzung unternommen habe. Der EU-Gipfel ruft alle Staaten auf, zügig ihren Beitrag zur Umsetzung zu leisten. Auch will man bei der Umverteilung und beim gemeinsamen europäischen Asylsystem auf eine gemeinsame Linie kommen.

„Die EU hat uns bisher nichts gegeben“

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan warnte die Europäer indessen erneut davor, die versprochene Visaliberalisierung für türkische Bürger doch nicht einzuführen. „Sollten Versprechen gebrochen werden, wird die Türkei ohne Zweifel einen Plan B und einen Plan C haben“, warnte Erdoğan nun mit Blick auf die in Aussicht gestellte Neuregelung. „Wir müssen nicht zu jeder Entscheidung über uns Ja sagen. Die EU hat uns bisher nichts gegeben.“

Tusk: Bemühen der Türkei bei Migration nötig

Beim Flüchtlingsdeal seien „weitere Bemühungen auch der Türkei notwendig“, fordert EU-Ratsvorsitzender Donald Tusk. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker betonte nach dem Gipfel am späten Donnerstagabend, dass „kein Land“ die Flüchtlingsvereinbarung mit der Türkei infrage gestellt habe.

Tusk fügte hinzu, dass auch über einen EU-Türkei-Gipfel „in den nächsten Monaten“ diskutiert worden sei. Einen konkreten Termin gebe es noch keinen, „aber die klare Absicht, den Dialog mit der Türkei fortzusetzen“. Es gehe noch um eine „Reihe gemeinsamer Initiativen mit der Türkei, nicht nur jene der Neuansiedlungen“. Der Ratspräsident konzedierte Ankara, dass es „sehr schwierig sei, wirklich alle Details zu erfüllen, gerade was das Terrorismusbekämpfungs-Gesetz betrifft“. Tusk: „Objektiv betrachtet ist die Türkei in einer schwierigen Lage“.

In dem Flüchtlingsabkommen vom März hatte die Türkei zugesagt, alle neu auf den griechischen Inseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen. Dies führte zu einem drastischen Rückgang der neu ankommenden Flüchtlinge in Griechenland. Die Europäer hatten im Gegenzug unter anderem einen beschleunigten Fall des Visazwangs für Türken in Aussicht gestellt. Da sich Ankara aber weigert, seine weit gefassten Terrorismusgesetze zu ändern, sieht Brüssel die Bedingungen dafür bis heute nicht erfüllt.

Beitrittsgespräche: Kern will keine „Blockadeübung“

Zugesagt wurde Ankara in dem März-Abkommen auch eine Ausweitung der Verhandlungen über den EU-Beitritt. Ende Juni wurde darauf ein weiteres Verhandlungskapitel mit Ankara eröffnet, in denen die EU-Standards für einen EU-Beitritt festgelegt sind. Weitere Kapitel sollten „in beschleunigtem Tempo“ vorbereitet werden.

Die EU-Außenminister hatten allerdings am Dienstag angesichts des massiven Vorgehens gegen Regierungskritiker und Medien in der Türkei seit dem Putschversuch im Juli einen Ausweitungsstopp für die Beitrittsgespräche unterstützt. Nur Österreich trug eine entsprechende Erklärung nicht mit, weil es ein vollständiges Einfrieren der Beitrittsgespräche wollte.

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) forderte beim Gipfel zwar weiter „ein alternatives Konzept zu einem EU-Beitritt der Türkei“, wollte sich dafür aber offenbar nicht mit seinen EU-Kollegen anlegen. Er wolle auf Dauer keine „Blockadeübung“ auf EU-Ebene betreiben und akzeptiere, „wenn wir keine Mehrheit finden“, sagte er vor Gipfelbeginn.

Mehr Anstrengung bei Umverteilung

Bei der umstrittenen Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland auf alle EU-Staaten forderten die Staats- und Regierungschefs sich gegenseitig auf, die „Anstrengungen zu verstärken“ und zu beschleunigen. In einer Fußnote wurden aber Ungarn und die Slowakei ausgenommen, die gegen einen entsprechenden Beschluss der EU-Innenminister vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt haben. Auch Polen wurde ausgenommen, das die beiden Länder unterstützt.

Einig waren sich die EU-Spitzen weitgehend in der Frage der Migrationspartnerschaften mit bisher fünf afrikanischen Ländern. Sie umfassen neben wirtschaftlicher Unterstützung und Bildungsprogrammen vielfach auch Hilfe zum Aufbau eines wirksamen Grenzschutzes. Der Gipfel schloss eine Ausweitung auf andere Länder in der Zukunft nicht aus.

von

Günter Schwarz – 16.12.2016