(Berlin) – „SZ“-Reporter sprachen trotz der Schweigepflicht mit Facebook-Mitarbeitern und berichten über deren psychische Belastungen. „Ich habe Sachen gesehen, die mich am Guten zweifeln lassen“, sagt einer der Mitarbeiter.

Erst gestern kündigte Facebook an, künftig schärfer gegen Fake-News vorzugehen, da steht das Soziale Netzwerk selbst in der Kritik. Mitarbeiter eines Dienstleisters, der für Facebook unter anderem Hassbotschaften löscht, haben erstmals ausführlich über ihren psychisch belastenden Arbeitsalltag und die geheimen Lösch-Regeln von Facebook ausgepackt.

Letztere hatte Facebook bislang unter Verschluss gehalten. Außerdem ist es den Mitarbeitern untersagt, mit Journalisten über ihren Job zu sprechen. Reportern der „Süddeutschen Zeitung“ ist dies aber jetzt exklusiv gelungen.

Bereits seit Herbst 2015 lässt Facebook in Berlin von der Bertelsmann-Firma Arvato Hassbotschaften und andere anstößige Inhalte löschen. Mehr als 600 Menschen aus verschiedenen Ländern arbeiten dort. Die exakten Vorgaben und Löschregeln oder die Qualifikation und Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter waren bislang nicht bekannt.

Viele Mitarbeiter klagen dem Bericht nach über schlimmste Arbeitsbedingungen, darunter Stress, Überlastung oder die unzureichende psychologische Betreuung.

Die Arbeitsbedingungen bestehen zum einen aus Akkordarbeit mit einem Gehalt knapp über dem Mindestlohn. Bis zu 2000 Posts pro Tag müssen geprüft werden. Höher gestellte Mitarbeiter haben nur etwa acht Sekunden Zeit für ihre Löschentscheidung, auch für Videos.

Auch inhaltlich sind die Prüfaufträge schwer zu verarbeiten. „Ich habe Sachen gesehen, die mich ernsthaft am Guten im Menschen zweifeln lassen. Folter und Sex mit Tieren“, wird ein Mitarbeiter zitiert. Ein anderer sagte: „Die Regeln waren kaum zu verstehen. Ich habe meinem Teamleiter gesagt: Das gibt’s doch nicht, das Bild ist total blutig und brutal, das sollte kein Mensch sehen müssen. Aber er meinte nur: Das ist deine Meinung. Aber du musst versuchen, so zu denken, wie Facebook es will. Wir sollten denken wie Maschinen.“

Laut Reportage darf ein Foto etwa drastische Gewaltdarstellungen zeigen, solange kein Gewalt verherrlichender Kommentar mit dem Bild einhergeht. Bei Hassreden gibt es hingegen nur wenig Handlungsspielraum für die Mitarbeiter. Hier erfolgt in der Regel eine direkte Löschung des Beitrags.

Das Foto eines Erhängten darf demnach gezeigt werden, samt Kommentar „Hängt diesen Mistkerl auf“, da es sich laut Facebook-Regeln um die „erlaubte Befürwortung der Todesstrafe handele“, zitiert die „Bild“ vorab aus der Reportage.

„Es ist eine Art firmenintern definierte Form der Meinungsfreiheit, in dem der Konzern genau vorschreibt, was zensiert wird und was zirkulieren darf“, so die „SZ“. Über die genaue Entstehung dieser Regeln mache Facebook grundsätzlich keine Angaben.

Laut „SZ“ gibt unter anderem Teams für die Sprachen: Arabisch, Türkisch, Italienisch, Französisch. Viele der Angestellten sprechen kein Deutsch. Im arabischen Team arbeiten auch Flüchtlinge, die dem Krieg in Syrien entkommen sind und nun in Deutschland in Schichtarbeit Enthauptungsvideos und Terrorpropaganda sichten müssen.

Unter dem Hashtag #insidefacebook wollen die „SZ“-Redakteure nun weitere Entwicklungen und eventuelle Stellungnahmen von Arvato oder Facebook zur Titelgeschichte sammeln. Arvato erklärte bislang gegenüber der „SZ“ nur: „Unser Auftraggeber Facebook hat sich vorbehalten, alle Presseanfragen zu der Zusammenarbeit mit Arvato selbst zu bearbeiten.“

von

Günter Schwarz – 16.12.2016