Sahra Wagenknecht sieht Angela Merkel in der „Mitverantwortung“ für Anschlag am Breitscheidplatz
(Berlin) – Grenzöffnung und Sparkurs bei der Polizei – die Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht kritisiert die Bundeskanzlerin wegen der Flüchtlingskrise. Ähnlich argumentierten bereits sogenannte Politiker der AfD.
In der Linkspartei gibt es neuen Unmut über die Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidatin bei der Bundestagswahl, Sahra Wagenknecht. Grund sind jüngste Äußerungen im Stern, in dem sie von einer „Mitverantwortung“ von Kanzlerin Angela Merkel für den Terroranschlag am Breitscheidplatz sprach und neben „der unkontrollierten Grenzöffnung“ auch „die kaputtgesparte Polizei“ als Grund nannte. Die Polizei sei „weder personell noch technisch so ausgestattet“, wie es der Gefahrenlage angemessen sei, betonte Wagenknecht. Ebenso fatal sei die Außenpolitik Merkels – die „von Merkel unterstützten Ölkriege der USA und ihrer Verbündeten“ seien Grund der Existenz und Stärke des „Islamischen Staates“.
Die Obfrau der Linken im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages, Martina Renner, sagte der Berliner Zeitung: „Schuld zu personalisieren und die Mär vom schwachen Staat – das sollte nicht unser Geschäft sein.“ Die thüringische Abgeordnete, die sich besonders gegen Rechtsextremismus engagiert, fügte hinzu: „Uns müsste es jetzt um die Aufklärung der Behördenfehler und die Analyse gesellschaftlicher Bedingungen für Radikalisierungsprozesse gehen.“ Der Außenexperte Jan van Aken warf Wagenknecht vor, „mit falschen Fakten“ zu argumentieren. So sei der Berliner Attentäter Anis Amri im Juli 2015 nach Deutschland gekommen, „die vollkommen richtige Grenzöffnung war im September“. Van Aken hatte bereits im Juli vorigen Jahres erklärt: „Wer Merkel von rechts kritisiert, kann nicht Vorsitzender einer Linksfraktion sein.“ Andere Wagenknecht-Kritiker wollten sich nicht äußern.
Der Lebensgefährte der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry und Vorsitzende der AfD in Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell, dagegen lobte Wagenknecht bei Twitter als „eine kluge Frau“. Er hatte direkt nach dem Anschlag am 19. Dezember geschrieben: „Es sind Merkels Tote!“ Ob das Lob des rechtsaußen Populisten allerdings in Wagenknechts Sinne ist, darf arg bezweifelt werden. Die Polizei hatte bereits angekündigt, die Äußerung Pretzells strafrechtlich prüfen zu lassen.
Der grüne Bundesgeschäftsführer Michael Kellner schrieb am Mittwoch: „Wagenknecht klingt, als wäre sie Spitzenkandidatin der AfD.“ Der Vorwurf der unkontrollierten Grenzöffnung wird gegen Merkel aus rechtskonservativen Kreisen wie der AfD und der bayerischen CSU immer wieder erhoben – obwohl die Außengrenzen Deutschlands im Zuge des europäischen Schengen-Abkommens seit Jahren offen sind. Merkel hatte Anfang September 2015 in Abstimmung mit der österreichischen Regierung Busse nach Ungarn geschickt, um dort auf der Autobahn gestrandete Flüchtlinge in deutsche Notunterkünfte zu holen. Kritiker werteten das – und auch spätere Besuche Merkels in Flüchtlingsunterkünften – als Einladung an Flüchtlinge, nach Deutschland zu kommen. Zudem bemängeln sie, dass Deutschland das Dublin-Abkommen aussetzte, demnach Flüchtlinge ihre Asylanträge in jenem EU-Land stellen müssen, das sie zuerst betreten – in hauptsächlich also Griechenland oder Bulgarien. Die Bundesregierung hatte inmitten der Flüchtlingskrise diese Regelungen nicht mehr vollzogen – die Asylsuchenden also nicht in die Ankunftsstaaten zurückgeschickt.
So sei Merkel auch nicht ganz schuldlos am Erstarken der AfD, meint Wagenknecht. Die Kanzlerin habe bei ihrer Flüchtlingspolitik keinen Plan und kein Konzept gehabt, das sie der Öffentlichkeit gegenüber vertreten hat, um dem Volk ihr Handeln zu erklären. „Das war letztlich schlimmer als nur leichtfertig, ihre Politik hat viel Unsicherheit und Ängste erzeugt und die AfD dadurch groß gemacht.“
Die Fraktionsvorsitzende hatte zuletzt in einem Interview mit der Welt am Sonntag erklärt, links sei für sie, für sozialen Ausgleich zu sorgen und nicht „die Befürwortung von möglichst viel Zuwanderung oder abgehobene Gender-Diskurse, die mit dem Kampf um echte Gleichstellung wenig zu tun haben“. An anderer Stelle hatte sie sich über die angeblichen „Mainstream-Medien“ mokiert. Ähnliche Argumente und Vokabeln sind unter Rechtspopulisten weit verbreitet. Wegen eben dieser Parallelen hatten andere Linke Wagenknecht mehrfach zur Umkehr aufgefordert.
von
Günter Schwarz – 05.01.2017