(Aarhus) – Københavns „kleine Schwester“, wie Aarhus, die Perle Midtjyllands (Mitteljütlands) am südlichen Kattegat oft genannt wird, will endlich allen zeigen, was sie drauf hat. Dänemarks zweitgrößte Stadt wurde neben Paphos auf Zypern zu Europas Kulturhauptstadt 2017 ausgewählt und hat sich für dieses Jahr viel vorgenommen.

Die Stadt Aarhus will sich als Kulturhauptstadt sozusagen neu erfinden – und auf ihre Wurzeln besinnen. Ein glanzvoller Höhepunkt unter hunderten Veranstaltungen soll die Freiluftaufführung einer Wikingersaga auf dem Dach des Museums Moesgaard im Sommer werden.


Das Moesgaard Museum bei Aarhus in Dänemark hat ein begrüntes Dach.
Das Konzerthaus lockt mit großen Namen: Die Filmtrilogie der preisgekrönten dänischen Regisseurin Susanne Bier kommt als Oper, Tanzperfomance und Musical auf die Bühne. Für eine Ballettversion von Foers „Tree of Codes“ hat Olafur Eliasson die Bühne designt, der Brite Jamie xx liefert die Musik. Daniel Barenboim kommt im April mit dem West-Eastern Divan Orchestra nach Aarhus.

Die größte Ausstellung des Kulturhauptstadtjahrs ist im Kunstmuseum zu sehen: „The Garden“ heißt das Schaufenster für die Werke internationaler Künstler, die über die Stadt verteilt, entlang der Küste, zu sehen sind. Die Kleinsten bekommen im Januar zum ersten Mal ihre eigene Kindereröffnung des Kulturhauptstadtjahrs.

Die aufregendste Art, in Aarhus anzukommen, ist aus der Luft und auf dem Wasser. Dafür darf man nur keinen nervösen Magen haben. Wenn das Wasserflugzeug aus København in der Bucht vor der zweitgrößten Stadt Dänemarks landet, spritzen und schwappen die Wellen an beiden Seiten der kleinen Propellermaschine hoch und übertönen für einen Moment den Krach, den der Flieger selbst macht. Vor und zurück schaukelt sich das rot-weiße Ungetüm in den Hafen. Der ist das Tor zu einer jungen, kreativen Stadt, die sich endlich aus dem Schatten von Dänemarks hipper Hauptstadt København schälen will. Als europäische Kulturhauptstadt 2017 bietet sich da für Aarhus eine gute Chance.

Den Titel trägt „die kleinste Großstadt der Welt“, wie die Aarhusianer ihr Zuhause liebevoll nennen, gemeinsam mit dem zyprischen Paphos. Für Aarhus‘ Bürgermeister Jacob Bundsgaard ist das Jahr „eines der absolut ehrgeizigsten Kulturprojekte aller Zeiten in Dänemark“. Um das zu meistern, hat die Studentenstadt mit knapp 320 000 Einwohnern das ganze Umland mit ins Boot geholt. Die Events unter dem Motto „Let’s Rethink“ („Lasst uns umdenken“) sind auf 19 Kommunen verstreut, mehrere hundert kulturelle Institutionen in der Region Midtjylland machen mit. Selbst die Insel Samsø ist mit ihrem Nachhaltigkeits-Festival ein Teil des Spektakels.

Die Kulturhauptstadt-Chefin Rebecca Matthews verspricht „epische Werke“ und „intime Momente“. Zur ersten Kategorie gehört die Saga „Røde Orm“ über die Abenteuer eines jungen Wikingers auf dem Weg zu seiner großen Liebe. Auf dem grasbewachsenen Dach des Museums Moesgaard bei Aarhus wird die Geschichte den Sommer 2017 über unter freiem Himmel aufgeführt. Schließlich wollen die Aarhusianer im Kulturhauptstadtjahr auch in ihrer eigenen Geschichte graben – und wer, wenn nicht die Wikinger, sollte da eine tragende Rolle spielen?

Im Gegensatz zu ihren kriegstreibenden Vorfahren sind die Dänen heute ein friedfertiges Völkchen und statt auf Schiffen vor allem auf dem Fahrrad unterwegs. Wenn es nach Programmchefin Juliana Engberg ginge, erkundeten damit auch die Besucher aus Dänemark und dem Ausland vorzugsweise die Events der Kulturhauptstadt. „Es ist eine großartige Art, das Land zu entdecken“, sagt Engberg. „Ich meine das wirklich so! Ich glaube, dass das ein Weg ist, wie die Leute hier herumkommen können. Mach’s wie die Dänen und fahr Fahrrad.“ Zum Auftakt wird von der West- an die Ostküste Jyllands geradelt.

Bürgermeister Bundsgaard will auch die – vor allem deutschen – Touristen aus ihren Sommerhäusern an der dänischen Westküste in die Städte locken. „Man kann beides erleben“, sagt der Politiker und meint Strand und Stadt. „Die Distanzen hier sind nicht so groß.“ Das größere Problem für die Besucher dürfte die Entscheidungsfindung sein. Ein Blick in das mehrere Kilo schwere marineblaue Programmheft offenbart hunderte Veranstaltungen, von Mitmach-Kunst bis Hochkultur.

Nikolaj Scherfig, Autor der Krimi-Erfolgsserie „Die Brücke“, kommt zu einem Schreib-Workshop in den Urlaubsort Hvide Sande. Im Konzerthaus Musikhuset in Aarhus bringt der Choreograph Wayne McGregor Jonathan Safran Foers Werk „Tree of Codes“ mit einem Design des dänisch-isländischen Künstlers Olafur Eliasson und Musik des Briten Jamie xx auf die Bühne. Kurz zuvor ist dort im April Daniel Barenboim mit dem West-Eastern Divan Orchestra zu Gast.

„Größer zu denken“, hat sich Aarhus als Kulturhauptstadt vorgenommen. Fünf Millionen Menschen sollen 2017 zu den Events in die Region kommen. Der Trend bei den Besucherzahlen geht schon seit Jahren nach oben. Bundsgaard weiß, dass er das auch der medialen Aufmerksamkeit rund um die Kulturhauptstadt zu verdanken hat. „Wir hoffen, dass wir einen bleibenden Eindruck hinterlassen“, sagt der Bürgermeister. „In Europa, aber auch anderswo, sieht man einen Trend zu den „zweiten“ Städten: Immer mehr Leute besuchen die zweitgrößten Städte, weil sie schon in den Hauptstädten waren und etwas Neues erleben wollen.“

Dabei sei Aarhus eine ganz eigene Marke mit einem ganz individuellen Flair und müsse gar nicht die zweite Geige hinter der Hauptstadt spielen, die schon 1996 Kulturhauptstadt war, sagt Engberg: „Die Stadt fühlt sich ganz anders an als København.“ Ein bisschen wie Melbourne, die Stadt, aus der sie selbst kommt, sei Aarhus, meint die Programmchefin. „Es hat diese junge Ausstrahlung, dieses wirklich hübsche ,Grassroots-Gefühl‘.“

Mehr zum Programm  der Kulturhauptstadt 2017, Aarhus, finden sie unter: http://www.aarhus2017.dk/de/  

von

Günter Schwarz – 06.01.2017