Die winterliche Festkultur zum Neujahrs- und Weihnachtsfest hat sich in Russland und in den ehemaligen Sowjetrepubliken mit christlich orthodoxer Bevölkerung erst im Laufe der letzten Jahrzehnte gefestigt. Zuvor waren die Feierlichkeit von den Irrungen und Wirrungen der Geschichte überschattet. Für einige Jahre zwischen den Weltkriegen war das Feiern sogar ganz verboten.

In Russland sollte man deutlich zwischen dem Neujahrsfest und dem Weihnachtsfest unterscheiden. Dabei ist insbesondere die Geschichte des Neujahrsfestes in Russland eine sehr wechselvolle. Die heutige Form des Feierns geht erst auf das Ende der 1930er Jahre zurück. Dabei kann insbesondere der sowjetische Neujahrsschmuck sehr viel von der Geschichte des Landes erzählen.

Die Anfänge der noch heute verbreiteten winterlichen russischen Festtagskultur reichen mehrere Jahrhunderte zurück. Peter der Große wollte einst mit den Europäern feiern und veranstaltete im Jahre 1700 Feierlichkeiten aus Anlass des Neujahres, das allerdings immer noch nach dem alten Julianischen Kalender berechnet wurde. Erst die Bolschewiki sollten diesen 1918 abschaffen und die Zeitrechnung auf der Gregorianischen Kalender umstellen, der überall im restlichen Europa galt.

Als obligatorisches Attribut für die Festivitäten sollten schon damals die Nadelbäume dienen. Endgültig fanden diese jedoch erst im 19. Jahrhundert als Merkmal des bürgerlichen Weinachtfestes Verbreitung. Das Väterchen Frost – im Russischen „Großvater“ – das die Kinder beschenken sollte, fungierte als eine Art russische Variante des Weihnachtsmannes.

Väterchen Frost setzt sich langsam durch

Das Väterchen Frost ging um 1840 in Gestalt des „Moros Iwanowitsch“ aus dem Märchen von Wladimir Odojewskij in die literarische Tradition ein. Auf Grund der zahlreiche Bezüge, die „Ded Moros“ zur slawischen Mythologie und zu russischen Märchen aufwies, wies er allerdings mehrere Unterschiede zu seinem ausländischen Pendant aus. Auch zur Figur des Schneewittchens, das sich Väterchen Frost gegen Ende des 19. Jahrhunderts zugesellte, gab es keine identische Analogien.


Väterchen Frost im langen blauen Mantel und mit Zepter aus dem Jahr 1967. Ein Exponat des Moskauers Designmuseums.
Nach der Oktoberrevolution 1917 begannen die Bolschewisten, die bürgerliche Kultur der „Ausbeuterklassen“ zu bekämpfen. Im Zuge dieses Kulturkampfes fiel auch das Weihnachtsfest mit Tanne und Vater Frost fortan aus, ein endgültiges Verbot setzte das Regime allerdings erst gegen Ende der 1920er Jahren durch.   

„Es gibt kaum was Sowjetisches am märchenhaften ,Väterchen Frost‘ des alten Regimes, das zum ,Weihnachten Christi‘ mit Tannenbaum unter der Achsel den Schlitten mit Kinderchen zieht“, schrieb der proletarische Dichter Demjan Bednyj im Jahre 1928 zur Rechtfertigung dieser Maßnahme.

Überbleibsel eines Festes der Bourgeoisie

Mit dem Verzicht auf das Weihnachtsfest wollte man vor allem einer „Propaganda der Religion“ den Boden entziehen. Doch Ende 1935 bekam die Geschichte eine überraschende Wendung. Sie fiel in jene Zeit, als der damalige Sowjetführer Josef Stalin sich nach den radikalen Verwerfungen der ersten Jahrzehnte des Kommunismus auf die alten russischen Traditionen und Geschichtsmuster in einem neuen sowjetischen Gewand zurückbesann. 

Nikita Chruschtschow erinnerte später daran, wie kurz vor dem Jahreswechsel 1935/36 ein hoher Funktionär des Kiewer Republikanischen Parteikomitees, Pawel Postyschew, der eigentlich als Eiferer und Hardliner galt, Stalin überraschend während einer abendlichen Fahrt durch Moskau vorschlug, den Kindern „die Tanne zurückzugeben“.

Stalin bejahte die Idee und wenige Tage später durfte Postyschew am 28. Dezember in der Prawda schreiben: „In der vorrevolutionären Zeit veranstalteten die Beamten der Bourgeousie immer zum neuen Jahr ein Tannenfest. Arbeiterkinder schauten mit Neid durch Fenster auf die glitzernde Tanne und die fröhlich tanzenden Kindern der reichen Bonzen um diese herum. Aber manche übereifrige Linke verketzerten diese Unterhaltung für Kinder als bourgeoise Idee. Man muss dieser falschen Verurteilung des Tannenfestes, das in der Wirklichkeit ein schönes Kinderfest ist, ein Ende setzen. Lasst uns ein lustiges Treffen zum neuen Jahr für Kinder organisieren. Veranstalten wir mal ein gutes sowjetisches Neujahrsfest mit Tanne in allen Städten und Kolchosen.“

Das Verbot wurde rasch aufgehoben und bereits zum Neujahr 1937 veranstaltete man im Kreml ein erstes offizielles Tannenfest, bei dem Väterchen Frost und Schneewittchen im Zuge einer theatralischen Inszenierung die Kinder beschenkten. In jeder Schule, in Kindergärten oder Klubs veranstaltete man ähnliche Feierlichkeiten.

Neujahrsschmuck wird zum offenen Buch der sowjetischen Kultur

Rund um die alten neuen Feierlichkeiten entstand schnell eine bemerkenswerte materielle Kultur, die auch sehr stark mit Ideologie und Erziehung verbunden war. So war sowjetischer Neujahrsschmuck für Tannenbäume Schmuck und Träger von Ideologie und Politik zugleich: Neben Schmuckkugeln mit Motiven von Ded Moros oder Märchenhelden fanden sich stets auch solche, die Kosmonauten oder kommunistische Führer abbildeten.


Das letzte bekannte Exponat einer Schmuckkugel aus dem Jahr 1937.
Das erste, was sowjetische Künstler hinsichtlich der traditionellen Spielsachen ersetzten, war der sechseckige weiße und goldene Stern von Bethlehem. Stattdessen steckte man einen sowjetischen fünfeckigen Stern an die Spitze. Auch die Thematik der Spielsachen änderte sich mit der Zeit: In den 1930er Jahren waren es rote Sterne und Kugeln mit Hammer und Sichel – den Symbolen des Arbeiter- und Bauernstaates – die eine weite Verbreitung erfuhren. Im Jahr 1937 produzierte man Kugeln mit den Bildnissen von Lenin, Stalin und anderen Mitglieder des Politbüros. Ende der 1940er Jahre und in den 1950ern erschienen die Darstellungen der festlichen Feuerwerke, Georgsbänder und Nelken zu Ehren des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg. Die 1960er sind durch Raketen und Kosmonauten auf Klammern und Kugeln als Planeten gekennzeichnet – die UdSSR eroberte damals den Weltraum. Auch Märchenhelden, Tiere, Obst und Gemüse aus Glas sind typisch für diese Zeit.

Die Spielsachen spiegelten auch die wichtigen Ereignisse in der Geschichte, Kultur und Wissenschaft des Landes wider. Im Jahre 1936, als der Film „Zirkus“ auf die Leinwände kam, stellten Spielzeuge die Zirkusartisten, Tiere und das so genannte „Negerlein“, den kleinen Held des antirassistischen Films aus Watte dar. Im Jahr 1937 schaffte ein sowjetischer Zeppelin einen 130-stündigen Überflug, weshalb im selben Jahr auch die Zeppelin-Spielzeuge herauskamen. Das Thema der Erforschung der Arktis spiegelte sich wiederum in Figuren von Polarforschern und Eisbären wider. Eine Serie, die dem Thema der Völkerfreundschaft gewidmet war, hieß „15 Republiken – 15 Schwestern“. Seit Mitte der 1950er Jahre, als die sich rasch entwickelnde Automobilindustrie Bürgern den Kauf von Privatfahrzeugen ermöglichte, kamen auch verschiedene Automodelle als Schmuck auf die Bäume.


Kosmonautenfigur. Ein Exponat des Moskauers Designmuseums.
Das Design des Neujahrsspielzeugs war in der Sowjetunion eine ernste Angelegenheit. Dem Ministerium für Leichte Industrie der UdSSR war das Allunionsinstitut für die wissenschaftliche Erforschung von Spielzeug angegliedert. Hier wurden die Muster für die meisten Fabriken im Land gefertigt. Bei dessen Entwicklung legte man ein besonderes Augenmerk auf Dauerhaftigkeit, Robustheit, Sicherheit und Ausdruckskraft des Spielzeugs.

Um dessen Ausdruckskraft aufrechtzuerhalten, hat man lange Zeit die Spielzeuge von Hand produziert. Die Handbemalung wurde erst gegen Ende der 1960er Jahre durch Maschinen abgelöst. Von den 1970er Jahren an bekam der maschinell erzeugte Tannenschmuck neue, kompliziertere Formen und wurde aus vielen neuartigen Materialien hergestellt. Populär waren auch Ketten und Girlanden aus Fähnchen, „Regen“ aus Alufolie, Flapper-Kleider und Süßigkeiten. Mittlerweile sind Spielsachen und Schmuckaccessoires aus der Sowjetzeit zum begehrten Gegenstand für Sammler und Forscher geworden. Sie zeichnen Geschichtswege nach und sind auch für die Designgeschichte relevant.

Neujahrsfest verbindet die Zeiten

Die Neujahrsfeier wurde in der Sowjetunion schnell zum beliebtesten Feiertag. „Sowjetskoe Schampanskoje“ und Salat „Olivier“ – auch als russischer Salat bekannt – auf dem üppig gedeckten Tisch und obligatorische „Abenteuer“ in der Neujahrsnacht wurden durch zahlreiche Spielfilme und Anekdoten zu einer Art nationalem Gesamttext, an dem das ganze Land mitschrieb. Mit Fortdauer der Zeit haben sich feste Formen der Feiertagskultur herausgebildet, die sich im ganzen Land durchsetzten. Dies ermöglichte es früheren Sowjetbürgern, auch in den Nachfolgestaaten und im Ausland diese gemeinsame Kultur über die Zeiten fort und grenzüberschreitend zu pflegen.

Väterchen Frost und das Schneewittchen, die durch populäre Märchenfilme wie „Abenteuer im Zauberwald“ auch in Deutschland bekannt sind, sind dabei nach wie vor unverzichtbare Bestandteile aller Kinderfeste. Die „Jolkas“, also die Theatervorführungen für Kinder zum Neujahrsfest, zelebriert man in der Regel kurz vor dem 31. Dezember. Die Tage danach werden im heutigen Russland als Ferien bis zu den Orthodoxen Weihnachten am 6./7. Januar überbrückt.


Dezember 1980: Kindergarten in Wolgograd, UdSSR. Als Astronom verkleideter Junge, sagt dem Väterchen Frost ein obligatorisches Gedicht auf.

Dezember 2016: Das Zentrum für Kinder mit eingeschränkten Möglichkeiten in Ufa, Russische Föderation. Väterchen Frost lauscht dem Gedicht eines Mädchens.
von

Günter Schwarz – 06.01.2017