(London) – Das höchste britische Gericht in London hat entschieden, die britische Regierung muss die Zustimmung des Parlaments einholen, bevor sie den Austritt des Landes aus der Europäischen Union erklärt. Durch die zusätzliche Hürde des Parlaments könnte sich der Brexit verzögern. Dass der Volksentscheid gekippt wird, gilt dennoch als höchst unwahrscheinlich. Die oppositionelle Labour-Partei dürfte allerdings im Parlament versuchen, beim Brexit in ihrem Sinne „nachzubessern“.

Darum geht es: Es ging um die Frage, ob das Parlament mitentscheiden muss, wenn das Vereinigte Königreich seine Austrittserklärung aus der EU an Brüssel spediert. Die Regierung behauptet, sie könne das aus eigener Machtvollkommenheit. Das Parlament möchte mitbestimmen.


Der Gerichtsentscheid ist eine Niederlage für Theresa May: Sie wollte den Brexit eigenständig durchboxen. Keystone
Das wurde entschieden: Die britische Regierung muss die Zustimmung des Parlaments einholen, bevor sie den Austritt des Landes aus der EU erklärt. Die Regierung als Vollzugsorgan der britischen Krone könne diesen Austritt nicht ohne parlamentarische Zustimmung einreichen, so das oberste Gericht. Nun wird ein vermutlich kurzes Ermächtigungsgesetz durchs Parlament gehen. Die Regionalparlamente von Schottland, Wales und Nordirland haben dagegen kein Mitspracherecht. Gemäß britischer Verfassung sind sie untergeordnete Befehlsempfänger von London.


Der Kronrat ist das politische Beratungsgremium des Monarchen. Heute hat der Rat meist zeremonielle Funktion. Keystone/Archiv
Die Krone und das Parlament: Es geht um die grauen Grenzen zwischen den Kompetenzen des Parlaments, also den gewählten Repräsentanten, auf der einen Seite. Und der Krone auf der anderen Seite. Es geht nicht um die Queen persönlich, sondern den Privy Council (deutsch: Kronrat). Dieser wird in der Regel ausgeübt durch amtierende Kabinettsminister. Das ist also ein außerparlamentarischer Prozess – Regierung per Dekret. Der High Court und der Supreme Court können als einzige die grauen Grenzlinien bestimmen.


Nur keine falschen Hoffnungen: Der Brexit dürfte allenfalls verzögert, aber nicht gestoppt werden. Reuters
Die Ausgangslage: Der High Court als Vorinsatz hatte das Mitspracherecht des Parlaments bejaht. Alle Beobachter, die etwas von Jurisprudenz verstehen, gingen im Vorfeld davon aus, dass das höchste Gericht den Entscheid bestätigt. Der Grund dafür war die Argumentation des High Courts: Es bejahte klar, dass nur das Parlament Entscheidungen treffen darf, die die britischen Bürger oder Untertanen ihrer Rechte berauben. Zum Beispiel des Rechts, an Europa-Wahlen teilzunehmen. Das könnte, so das Gericht, nur das Parlament und nicht die Exekutive.


Very British: Im Oberhaus, dem „House of Lords“ sitzen keine gewählten Volksvertreter. Hier herrscht eine „freiere“ Arbeitskultur. Keystone/Archiv
Zwischenstopp beim Brexit: Durch die parlamentarische Mitsprache dürfte sich der Brexit-Fahrplan von Premierministerin Theresa May lediglich verzögern. Niemand erwartet, dass sich das Unterhaus widersetzt und sein Veto einlegt. Beim Oberhaus werden Verzögerungen erwartet, weil diese Lords nicht gewählt sind und deshalb freier agieren können. Eine überwältigende Mehrheit von ihnen ist nicht nur gegen den Austritt aus der EU, sondern ganz bestimmt gegen einen harten Brexit, den May vergangene Woche beschrieben hat.

Die Reaktion der Regierung: Die Regierung May zeigt sich in einer ersten Reaktion „enttäuscht“ vom Ausgang des Brexit-Prozesses. Sie werde aber trotzdem „alles Notwendige tun“, um das Urteil umzusetzen. Das sagte Generalstaatsanwalt Jeremy Wright, der die Regierung in dem Prozess vertrat.


Der umstrittene Labour-Chef Corbyn rief seine Partei schon im Vorfeld auf, das Brexit-Votum zu respektieren. Reuters
Das plant die Opposition: Die oppositionelle Labour-Partei verspricht, sie wolle den Austritt auf der Grundlage der Volksabstimmung vom letzten Juni nicht verhindern. Das schließt aber Versuche nicht aus, Zusätze in das Gesetz einzubringen, die den Verhandlungsausgang beeinflussen sollen; etwa Vorschriften über die Zugehörigkeit zum Binnenmarkt und zur Zollunion. Beides hat Premierministerin May letzte Woche ausgeschlossen.

von

Günter Schwarz – 24.01.2017