(Dresden) – Wenn Kunst wirken soll, muss sie das Publikum spalten. In dieser Hinsicht sind die drei Busse des Dresdner Künstlers Manaf Halbouni vor der Frauenkirche in Dresden ein voller Erfolg. Doch der Streit über das Kunstwerk ist auch ein Streit über Geschichte und Gedenken.

„Natürlich kann man ein Pferd vor ein Taxi spannen oder ein Taxi vor ein Pferd. In beiden Fällen ist das nicht effektiv. Aber genau das wird meistens gemacht mit politischer Kunst: ein Pferd wird vor ein Auto gespannt. Und dann sind die Leute überrascht, wenn es nicht richtig fährt. Außerdem lebt das Pferd dabei nicht lange.“ – Heiner Müller, Gesammelte Irrtümer

Politische Kunst hat es schon immer gegeben. Und schon immer war sie umstritten. Selbst in den ältesten Hochkulturen zeugten monumentale Bauten und Skulpturen von der Macht des Auftraggebers. Bitterböse Karikaturen, die sich über Personen und Gruppen lustig machen, waren schon im antiken Griechenland gang und gebe. Für den Künstler ist politische Kunst ein zweischneidiges Schwert.

Die Politik hat von jeher versucht, die Kunst inhaltlich und ästhetisch zu vereinnahmen. Sie in den Dienst einer Sache zu stellen. Wer die Deutungsebene beherrscht, herrscht. Die Künstler wiederum, natürlich längst nicht alle, fürchten sich vor nichts mehr, als vereinnahmt zu werden. Interessanterweise kann man Hanns Joachim Friedrichs bekannten Lehrsatz für Journalisten nahezu eins zu eins auch auf Künstler anwenden: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazu gehört.“

Auch Kunst kann Propaganda sein – wir Deutschen kennen es aus dunklen Jahren unserer Geschichte. Wer sich mit Kunst ins politische Tagesgeschäft einmischt, macht sich leicht angreifbar. Es ist sicherer, ganz allgemein und abstrakt von Frieden und Liebe zu sprechen. Nicht jeder beherrscht das verminte Terrain der politischen Kunst. Von Pablo Picasso ist die Anekdote überliefert, wie er einmal Besuch von einem Offizier der Wehrmacht bekommen hat.

Paris war von der Wehrmacht besetzt, Picasso blieb aber trotzdem. Der Offizier soll ihn aus Neugier in seinem Atelier besucht haben. Dabei stießen ihm Skizzen zu dem späteren monumentalen Anti-Kriegs-Gemälde „Guernica“ ins Auge. Das Gemälde dramatisiert den deutsch-italienischen Luftangriff auf die spanische Stadt Guernica vom 26.April 1937. Der Offizier fragte Picasso, ob die Skizzen von ihm stammen. Picassos Antwort: „Nein, von ihnen.“

Hinzukommt, dass sich Kunst und Moral streng genommen nahezu ausschließen. Was natürlich möglichst nicht für Politik gelten sollte. Was künstlerisch erlaubt ist, respektive geboten erscheint, muss nicht immer das ethisch Gute und Richtige sein. Kunst muss nicht immer Provokation sein, aber sie darf. Und was als Provokation oder auch Zumutung empfunden wird, verändert sich grob geschätzt alle 20 bis 30 Jahre.

Das zum Beispiel Peter Handkes Theaterstück „Publikumsbeschimpfung“, welches 1966 noch Tumulte und Prügeleien im Frankfurter Theater am Turm ausgelöst hat, kann man heute, nach neuerlicher Lektüre des Textes, kaum nachvollziehen. Kunst rührt an und überschreitet manchmal Tabus. Und Tabus sind nötig, damit eine Gemeinschaft funktionieren kann. Sie stabilisieren die Bezugssysteme zwischen Menschen und schützen eine Gesellschaft vor der Selbstzerfleischung.

Andererseits können Tabubrecher durchaus eine sinnvolle Funktion innehaben, wenn sie ein hochemotionales gesellschaftliches Thema ansprechen. Sie zeigen der Gesellschaft damit auch ihre dunklen Seiten auf. Um Tabus im weitesten Sinne geht es auch bei dem heftigen Streit um die Installation „Monument“ des deutsch-syrischen Künstlers Manaf Halbouni aus Dresden. Drei aufgestellte Buswracks vor der Frauenkirche in Dresden.

Die Frauenkirche und der Neumarkt gelten als Symbole für den überwundenen Krieg und den Wiederaufbau. Diese Installation an diesem Ort – das musste Ärger geben. Das hat mit Geschichte auch der Stadt zu tun. Damit, wie sich Menschen Geschichte und somit auch Orte aneignen. Aber es hat auch vor allem mit der Gegenwart und dem vergifteten politischen Klima im Land zu tun.

Am 13. Februar 1945 versank Dresden im Feuersturm verursacht durch Fliegerbomben. Letztes Jahr verzichtete die Stadt Dresden erstmals, nach Gezerre von links und rechts, auf die offizielle Gedenkfeier für die Opfer der Brandnacht. Stattdessen sollte der Tag verstärkt genutzt werden, „um für Frieden, Demokratie und Menschenrechte zu werben“, ließ das Rathaus damals verlauten. Nur die Menschenkette wollte man beibehalten, mit der schon in vergangenen Jahren ein „Zeichen gegen Rechts“ gesetzt werden sollte.

Dieses Jahr soll zum 13. Februar auch den im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlingen und syrischen Kriegsopfern gedacht werden. Die Installation „Monument“ ist Teil dieser neuen Gedenkkultur. Schon im Vorfeld zum Gedenken an den 13. Februar hatte der Bürgermeister Dirk Hilbert (FDP) für Aufregung gesorgt, als er sagte: „Dresden war keine unschuldige Stadt.“

Hilpert steht mittlerweile seit ungefähr einer Woche unter Polizeischutz. Es tobt ein Kulturkampf in Dresden. Mal wieder. „Ein Prozent“, eine Organisation, die sich gegen „die Flüchtlingsinvasion“ in Deutschland und Europa wehren will, hat einen offenen Brief an den Bürgermeister von Dresden geschrieben. Darin kritisiert sie das Kunstwerk und fordert Hilpert auf, das Kunstwerk wieder abzubauen.

Und ihr Kritikpunkt ist in der Tat stichhaltig. Der Künstler Halbouni hat sich für seine Installation mit den drei aufgestellten Bussen von einer Fotografie inspirieren lassen, auf dem drei aufgerichtete Buswracks aus der zerstörten syrischen Stadt Aleppo zu sehen sind. Haloumi schreibt zu seinen Intentionen auf seiner Webseite:

Die Installation „Monument“ bezieht sich auf die gegenwärtige Situation in Syrien. Mit dem Bild der aufgestellten Busse vor der Frauenkirche wird eine Verbindung zwischen der Situation der Menschen im Nahen Osten und Europa hergestellt: Das Leid und die unaussprechlichen Verluste, aber auch die Hoffnung auf den Wiederaufbau und Frieden.

Das Problem ist nur, dass die Busse nach den Aussagen einiger von dschihadistischen Kämpfern der Ahrar al-Scham-Miliz aufgestellt wurden. Vermutlich ging es damals in Aleppo nicht darum, mit den Bussen Zivilisten zu schützen, sondern eine in erster Linie eine Terrormiliz. Der Künstler, der sich auf ein Reuters-Foto und einen Artikel im „Guardian“ bezieht, sagt, dass er das nicht gewusst hat. Zumal auf dem erwähnten Bild von Reuters die Fahne der Miliz, die auf einem der Busse weht durch die Wahl des Bildausschnittes nicht zu sehen ist. Die Beschriftung des Bildes bei Reuters lautet: „Zivilisten gehen in der Nähe von aufgestellten Bussen, die eine Straße barrikadieren und als Schutz von Präsident Assads Scharfschützen dienen, in Aleppos Viertel Bustan al-Qasr, das von Rebellen kontrolliert wird.“

Natürlich schützten die Busse auch Zivilisten – schließlich gab es in den Stadtteilen von Aleppo, die von den Rebellen kontrolliert wurden, auch Zivilisten. Doch sollten die Busse tatsächlich von den dschihadistisch geprägten Rebellen aufgestellt und als militärische Straßensperren verwendet worden sein, dann bekommt die ganze Geschichte einen Beigeschmack.

Es ist wichtig, auf diesen Sachverhalt hinzuweisen, damit nicht auch in der Kunst ein bestimmter Narrativ durchgeht, der schon die mediale Berichterstattung in großen Teilen der Mainstream-Medien bestimmt hat: Die Legende von „gemäßigten Rebellen“. Und man muss den Künstler und die Verantwortlichen in der Politik, die hinter dieser Kunstaktion stehen, zurecht dafür kritisieren, dass sie scheinbar ihre Hausaufgaben nicht gründlich gemacht haben.

Es zeugt von einer gewissen Naivität, bei einem Konflikt wie dem in Syrien, um den es auch eine mediale Kriegsführung gibt, nicht genau hingeschaut zu haben. Das es also Menschen gibt, die dieses Kunstwerk ablehnen, ist verständlich. Der Künstler selbst sagt, dass er das Foto mit der Fahne der terroristischen Miliz erst jetzt gesehen hat. Und das er nicht vor hatte, für irgendeine der Parteien, die in Syrien gekämpft haben und noch kämpfen, Partei zu ergreifen.

Und wenn man seine älteren Arbeiten anschaut, nimmt man es ihm auch ab. Die Themen Krieg, Flüchtlinge, Entwurzelung ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Arbeiten. Oft geht es auch um das „Was wäre wenn“, wie auch schon eine ältere Arbeit von ihm betitelt ist. Was wäre zum Beispiel passiert, wenn die Geschichte der Kolonialisierung andersherum verlaufen wäre?

Man kann Halbouni, der unter anderem auch an der Hochschule der Schönen Künste in Dresden studiert hat, beim besten Willen keine islamistische Agenda andichten. Und genau da kippt die Kritik, wie zum Beispiel auch von „Ein Prozent“ in den toxischen Bereich. In einer weiteren Stellungnahme schreibt die Organisation nun unter anderem: „Halbouni entwirft weltweite Vorherrschaft des Islams in ,Kunstprojekt‘.“ Auf der Künstlerseite von Manaf Halbouni finden sich außerdem weitere fragwürdige ,Kunstprojekte‘. So entwirft Halbouni in einem fiktiven Geschichtsverlauf eine vom Islam dominierte Welt im Vormarsch auf Europa.

Danach wird ein Textfragment von Halbouni aus seiner Beschreibung der Arbeit „What if“ (Was wäre wenn), zitiert: „Bei der Kolonialisierung wurden neue Grenzen erschaffen um Europa unter zwei Mächten aufzuteilen ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit der dort lebenden Völker.“ 

Da kann man leider nur sagen: Sechs! Setzen! War die Kritik an der Installation ,Monument‘ noch richtig und wichtig, wird hier leider Schindluder betrieben und eine neue Agenda eröffnet. Halbouni tut in dieser Arbeit nichts anderes, als mit der Wirklichkeit zu spielen und sie in Frage zu stellen. Was wäre gewesen, wenn die Weltgeschichte anders verlaufen wäre?

In einer anderen Arbeit stellt Halbouni sich auch vor, was ein Sachse alles im Auto mitnehmen würde, wenn er wie die vielen Flüchtlinge plötzlich aus Syrien fliehen müsste. Das nennt man Spiel. Das ist Kunst. Die muss man nicht mögen, aber wer hier Tendenzen für eine „islamistische Weltherrschaft“ entdeckt haben will, der sieht diese Tendenzen vermutlich auch in einer Baklava (Baklava ist ein in Sirup aus eingekochtem Zuckerwasser eingelegtes Gebäck aus Blätter- bzw. Filoteig, gefüllt mit gehackten Walnüssen, Mandeln oder Pistazien).

Auf der anderen Seite würden der Stadt Dresden und dem Künstler kein Zacken aus der Radeberger-Krone brechen, wenn sie die schon erwähnte, berechtigte Kritik, akzeptieren würden. Das muss aber nicht bedeuten, dass man die Busse wieder abmontieren muss. Die Tatsache, dass die Busse in Aleppo von Terroristen aufgestellt wurden, beeinträchtigt in keiner Weise die Intentionen des Künstlers.

Man muss einfach nur Blickrichtung ändern. Wenn es darum geht die Schrecken dieses grausamen Krieges nach Dresden zu holen und ein Zeichen gegen Gewalt und religiösen Fanatismus zu setzen – was wäre besser geeignet, als diese aufgestellten Busse? Mit dem Wissen um die wahren „Baumeister“ der Busse in Aleppo gewinnt das Werk mehr, als es verliert. Es gewinnt an Horror, an Dramatik, kurz: an Wirkung.

Nur muss man jetzt bei den Verantwortlichen den Mut haben, diese Erzählung anzunehmen und die „Kampfzone“ auszuweiten. Die Installation wird trotzdem eine zwiespältige Angelegenheit bleiben. Aber das ist aus künstlerischer Sicht und bei diesem Thema gar nicht anders möglich. Es sei denn, man möchte für die eine oder andere Seite Propaganda betreiben.

Ob es allerdings wirklich nötig ist, von Seiten der Stadt Dresden die Brandnacht des 13. Februar 1945 mit dieser Installation zu verquicken, bleibt höchst fraglich. Viele Dresdner fühlen sich um ihren Gedenktag betrogen. Möchte man all diese Menschen wirklich Bewegungen wie der PEGIDA zutreiben? Es kann kein Staatsverbrechen sein, um seine Toten zu trauern. Wie wichtig diese Trauerarbeiot im kollektiven Gedächtnis der Dresdner ist, beschrieb einmal der Soziologe Karl-Siegbert Rehberg mit den Worten: „Seit mehr als einem halben Jahrhundert gibt es das Bild der verschwundenen Stadt und damit einen Raum des Imaginären, der sich in Spuren zeigt, in Erinnerungen und Projektionen. Die Wahrnehmung Dresdens ist immer auch verbunden mit der Ko-Präsenz einer Stadt, die nicht mehr existiert: Dresden ist Ausdruck einer sozusagen rückwärtsgewandten ‚Utopie‘.“

Um nicht in der rückwärtsgewandten Utopie stecken zu bleiben, braucht es einen Geschichtsbegriff, der in beide Richtungen blickt. In die Vergangenheit und in die Zukunft. So ähnlich wie es Walter Benjamin in seinem „Begriff der Geschichte“ formuliert: „Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“

von

Günter Schwarz – 12.02.2017