Moderne Konflikte werden immer häufiger als Propagandakriege ausgetragen. Ein ehemaliger Mitarbeiter einer solchen russischen Propaganda-Institution, einer sogenannten „Troll-Fabrik“ gibt Einblick in den „Kosmos von Desinformation und Manipulation“.

Die Propaganda-Fabrik ist ein unscheinbares Büro-Gebäude im Norden von St. Petersburg. Sawuschkin-Strasse Nummer 55, hier liegt eine der Kommando-Stellen in Russlands Informationskrieg, die einstige „GmbH für Internet-Forschung“. Es ist eine geheimnisvolle Firma. Sie hat mehrfach den Namen gewechselt, und es ist unklar, wie sie jetzt genau heißt. Eine Medienstelle für Anfragen gibt es nicht. Als „Troll-Fabrik“ wird das Unternehmen auch bezeichnet. Hunderte so genannter Trolle sollen hier arbeiten, Leute, die gegen Bezahlung das Internet mit prorussischen und kremlfreundlichen Kommentaren fluten. Wie die „Troll-Fabrik“ funktioniert, weiß man nur deshalb, weil mehrere ehemalige Mitarbeiter auspacken.

Einer dieser Ex-Trolle ist Vitali, ein hagerer junger Mann. Seinen Nachnamen möchte er für sich behalten. „Ich habe im September 2014 angefangen, in der ,Troll-Fabrik‘ zu arbeiten. Erst wusste ich gar nicht, was das für eine Firma ist. Es hieß nur, ich müsse ,Texte redigieren‘, in der Stellenbeschreibung stand, ich sei ,Content-Manager‘. Man hat mir einen Monatslohn von 45.000 Rubel angeboten, rund 731 Euro, das ist eine Menge Geld für eine solche Arbeit.“

Vitali wurde in die Abteilung „Ukraine“ eingeteilt. Die Krise im Nachbarland war gerade in einer heißen Phase und Vitali arbeitete für verschiedene Webseiten, die sich teilweise als ukrainische Nachrichtenportale ausgaben – in Wahrheit aber in St. Petersburg produziert wurden. Das System „Troll-Fabrik“ war damals, so beschreibt es Vitali, ein ganzer Kosmos von Desinformation und Manipulation.

• „Im ersten Stock an der Sawuschkin-Strasse saßen ich und meine Kollegen, wir machten Webseiten mit Informationen über den Konflikt.“
• „Im zweiten Stock saßen Karikaturisten, die Dinge zeichneten, wie ein Bild Obama, der eine Karte der Ukraine aufisst. Und darunter stand dann der Satz: ,Dasselbe kann auch mit Russland passieren, wenn wir ihn nicht aufhalten‘.“
• „Im dritten Stock war die größte Abteilung untergebracht, die Kommentar-Schreiber, die für Facebook und andere soziale Netzwerke Kommentare verfassten.“
• Eine weitere Etage besetzten die Blogger, die sich zum Teil als Ukrainer ausgaben. Vitali sagt, es sei schwierig gewesen, mit anderen Mitarbeitern der „Troll-Fabrik“ ins Gespräch zu kommen. Er vermutet aber, dass diese Blogger zum Teil als eigentliche Nachrichtenproduzenten agiert haben.

Und so funktioniert das System: Ein Blogger zum Beispiel schreibt gemäß Vitali einen ziemlich frei erfundenen Beitrag über die angeblich schrecklichen Zustände in der Ukraine – die Nachrichtenportale der „Troll-Fabrik“ greifen diesen vermeintlichen „Augenzeugenbericht“ auf – und machen daraus einen Artikel. Eine Art Perpetuum Mobile der Propaganda. „Die ,Troll-Fabrik‘ macht gefälschte Nachrichten-Websites, sie lässt Leute im Internet Kommentare schreiben, die echt aussehen sollen, aber es nicht sind. Im Grunde geht es darum, die Realität zu verzerren. Es wird der Anschein erweckt, dass die Mehrheit der Russen die Politik des Kremls unterstützt.

Wer steckt dahinter? Vitalis Erzählungen über die Troll-Fabrik bestätigen andere ehemalige Mitarbeiter, etwa die Journalistin Alexandra Garmaschapova. Sie hat sich für die regierungskritische Zeitung „Novaja Gaseta“ als Undercover-Reporterin bei der „Troll-Fabrik“ beworben und ebenfalls kurz dort gearbeitet. Sie recherchierte auch viel über die Hintermänner des „Wahrheitsministeriums“, wie die Firma an der Sawuschkin-Straße ironisch genannt wird.

„Es gibt viele Indizien, die auf Prigozhin hinweisen. Er selber hat bisher weder bestritten noch bestätigt, dass er die ,Troll-Fabrik‘ finanziert. Er schweigt einfach“, sagt die Jounalistin Alexandra Garmaschapova.

Für Garmaschapova gibt es kaum Zweifel, dass hinter dem Unternehmen Ewgeni Prigozhin steht. Der Mann betreibt ein Catering-Unternehmen, das unter anderem Gäste im Kreml bewirtet. Daher stammt auch sein Übername: Putins Koch. Der schwerreiche Unternehmer konnte zudem sehr lukrative Staatsaufträge ergattern: Prigozhin liefert Essen in Schulen und an die Armee.

Auch auf Anfragen reagiert Prigozhins Firma nicht. Warum aber soll ein Catering-Unternehmer viel Geld aufwerfen für eine Internet-Propaganda-Maschine? Die Journalistin Garmaschapova erklärt es sich so: „Prigozhin hat enge Verbindungen zum Kreml und sein Reichtum hängt davon ab, dass Putin weiter an der Macht bleibt. Er verdient große Summen mit staatlichen Aufträgen, die er auf undurchsichtige Weise erhält. Er finanziert die ,Troll-Fabrik‘ also faktisch mit staatlichen Geldern.“

von

Günter Schwarz – 21.02.2017