(Moskau) – Mit der Februar-Revolution und der Oktober-Revolution jähren sich in diesem Jahr gleich zwei zentrale Ereignisse der russischen Geschichte und der Weltgeschichte zum 100. Mal, mit denen sich die Führung im Kreml sichtlich schwertut. So scheint das Revolutionsjahr 1917, in dem laut Präsident Wladimir Putin eine „Zeitbombe“ unter das „Gebäude Russland“ gelegt worden sei, nicht in das bisher geförderte Geschichtsbild zu passen. Mit dem Leitmotiv „Versöhnung“ legte Putin immerhin die Marschrichtung für die anstehenden Gedenktage fest – ob und wie diese vom offiziellen Russland begangen werden, bleibt noch offen.

Mit „Versöhnung“ hat Russlands Präsident Wladimir Putin bereits Ende des Vorjahres das Leitmotiv für die diesjährigen anstehenden 100. Jahrestage der Februar- und der Oktoberrevolution ausgegeben. Ob und wie das offizielle Russland mit dem offenbar heiklen Gedenkjahr umgeht, ist aber nach wie vor offen.

Dabei steht mit dem 8. März, an dem vor 100 Jahren in der damaligen Hauptstadt Petrograd, dem heutigen St. Petersburg, der Sturz des Zarenreiches eingeläutet wurde, nun bereits der erste Stichtag an. In einer von Putin am 19. Dezember unterschriebenen Verfügung ist laut Medienberichten allerdings nur von der „Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen, die dem 100. Jahrestag der Oktoberrevolution von 1917 gewidmet sind“, die Rede.

Da darin die Russische Historische Gesellschaft mit der Bildung eines Organisationskomitees beauftragt wurde, gehen Beobachter zudem davon aus, dass sich vorrangig Historiker, Museen und Medien – und nicht die Politik selbst – mit dem Thema auseinandersetzen werde. Dass staatliche Strukturen keine Gedenkveranstaltungen organisieren sollten, ist nach Angaben der Wochenzeitung „Kommersant-Wlast“ bereits beschlossene Sache.

Denkmal auf der Krim?

Nach wie vor im Raum steht indes ein von Putin vorgeschlagenes „Denkmal der Versöhnung“ auf der Krim. Mit Blick auf die im Februar 2014 erfolgte Annexion der Halbinsel durch Russland ist „der doppelte historische Sinn“ dieses Vorhabens zumindest für die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“) hier aber mehr als „offensichtlich“. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Krim auch zentraler Schauplatz des blutigen Bürgerkrieges war, der auf die Oktoberrevolution folgte.

Das bis heute anhaltende Trauma des Bürgerkriegs muss für Moskau indes auch als Grund für die Zurückhaltung im Jubiläumsjahr herhalten. Erinnert werden soll demnach an eine „Große Russländische Revolution“, die auch die Zeit des Bürgerkrieges umfasst.

Vom „starken Zarenreich“ zur „starken Sowjetunion“

In dem von Kulturminister Wladimir Medinski bereits 2015 bekanntgegebenen „verbindlichen Deutungsmuster für die Revolutionsfeiern“ findet sich laut „NZZ“ dann auch eine Anlehnung an die als „Zeit der Wirren“ abgehandelte Zeit vor der Machtübernahme durch die Zarendynastie der Romanows im 17. Jahrhundert.

Ganz in diesem Sinne wird der Zeitung zufolge nun auch der Versuch unternommen, die Februar- und die Oktoberrevolution nicht als Revolution bzw. Umbruch, sondern als „Störfaktor in einem übergeordneten imperialen Projekt“, konkret als schwierige Zeit zwischen „dem starken Zarenreich und der starken Sowjetunion“ darzustellen.

„Geburtsfehler“

Das würde auch dem Geschichtsbild entsprechen, das Putin bereits in der Vergangenheit immer wieder in den Fokus stellte. Der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ zufolge gilt die Sowjetunion „in ihrer imperialen Größe“ geradezu als Vorbild für den Kreml-Chef – „mit dem Geburtsfehler aber, dass sie aus einer Revolution hervorgegangen ist, gilt es nun offenbar aufzuräumen“.

Unterstrichen wurde diese These auch von Putin selbst. Die von Wladimir Iljitsch Lenin ausgerufene Weltrevolution habe Russland „nicht gebraucht“, wie Putin einmal über den Gründer der Sowjetunion sagte. Der in weiten Teilen der Bevölkerung nach wie vor verehrte und unmittelbar vor Putins Büro in einem Mausoleum zur Schau gestellte Revolutionsführer habe zudem „eine Zeitbombe unter das Gebäude gelegt, das Russland heißt, und die ist dann explodiert“.

Bei der immer wieder laut gewordenen Forderung, Lenins Überreste zu bestatten, zeigte sich Putin aber auch wieder weit diplomatischer. „Die Zeit wird kommen, und das russische Volk wird das entscheiden“, wie der Kreml-Chef dazu etwa bereits 2001 sagte.

„Putinistisches Geschichtsnarrativ“

Für die anstehenden Gedenktage dürften konfliktbeladene Themen wie dieses aber ohnehin kaum eine Rolle spielen. Ganz nach dem Klappentext einer 2015 vom Kreml initiierten Großausstellung über die Geschichte des Landes gilt es vielmehr wohl, erneut zu zeigen, „wie das Land trotz großer Rückschläge schließlich einen großen Sieg errungen habe“.

Putin meinte, es dürfe „mit den Tragödien von damals, die faktisch jede Familie in Russland betroffen haben, egal auf welcher Seite der Barrikaden sie stand“, aber auch nicht „im eigenen Interesse spekuliert werden“. Die „Zeit“ merkte an, man dürfe gespannt sein, wie das offizielle Russland mit dieser Vorgabe nun umgeht – vor allem angesichts der „im putinistischen Geschichtsnarrativ“ dann doch „eher mit betretenem Schweigen übergangenen Ereignisse“ des Jahres 1917.

von

Peter Prantner / Günter Schwarz – 05.03.2017