Leute mit anderen Ansichten werden gern „stumm geschaltet“ oder „mundtot gemacht“, indem sie der Hassrede bezichtigt werden. Das geschieht nicht nur hier bei uns in Dänemark oder Deutschland, sondern eigentlich überall auf der Welt. In Großbritannien praktiziert man es sogar auf Journalistenschulen, wie des Politmagazin „Spiked“ es wissen will.

Studenten, die sich mit den falschen Zeitungen auseinandersetzen, geraten offenbar auf die schiefe Bahn. Deshalb nehmen sich britische Universitäten ein Beispiel an China und zensieren in ihren Journalistenklassen bestimmte Blätter – solche, die von der „richtigen“ Linie abweichen. Nein, das ist kein Witz. Laut einer aktuellen Studie des Politmagazins „Spiked“ schränkten im vergangenen Jahr 94 Prozent der Hochschulen in Großbritannien die Redefreiheit ein. Die Londoner City University, Heimat einer der weltweit angesehensten Journalistenschulen, verbannte The Sun, Daily Mail und Daily Express – weil diese Zeitungen Hass in der Gesellschaft schüren würden.

Studentenorganisationen verbannten Redner vom Campus – wie etwa die Bürgerrechtlerin Maryam Namazie, die sich gegen Islamismus engagiert, oder die Feministin Germaine Greer, weil sie ihre eigenen Ansichten zum Transgenderismus hat.

Die BBC-Sendung „Daily Politics“ griff das Thema unlängst auf. An der Debatte nahm die Journalistin Kaite Welsh teil, prominentes Aushängeschild der Verbannungs-Befürworter: „Das ist nicht Zensur. Wenn gewisse Institutionen dir keine Plattform geben wollen, musst du das akzeptieren. Redefreiheit heißt nicht, die Freiheit zu haben, eingeladen zu werden, wo immer du möchtest.“ Und: „Die Studenten wollen keinen Fanatismus und keinen Hate Speech.“

Was ist Hate Speech?

Wir sind beim Kampfbegriff Hate Speech, zu Deutsch: die Hassrede. Der Hate-Speech-Hammer funktioniert wie die Nazikeule – damit sollen Menschen mit anderen Ansichten stumm geschaltet werden. Laut Wikipedia bezeichnet Hate Speech die sprachliche Ausdrucksweise von Hass mit dem Ziel der Verunglimpfung bestimmter Personen oder Gruppen. Im Vordergrund steht deren Ausgrenzung und die Anwendung von Gewalt gegen sie.

Beispiele von Hate Speech: „Wenn ich einmal an der Macht bin, wird die Vernichtung der Juden meine erste und wichtigste Aufgabe sein.“ (Zitat Adolf Hitler). Oder: „Tötet Erdoğan – mit seinen eigenen Waffen.“ (Plakat der Revolutionären Jugendgruppe Bern an einer Demo vergangene Woche). Kein Beispiel von Hate Speech: die Äußerungen der von Unis verbannten Germaine Greer. Chirurgische Eingriffe zu erlauben in Bezug auf eine Geschlechtsumwandlung, sei unethisch, sagt sie, weil sie gesundes Gewebe entfernen und eine lebenslange Abhängigkeit von Medizin kreieren. Eine provokative Ansicht? Ja. Schwer zu akzeptieren und verletzend für Transgender? Ja. Nur sät das nicht zwangsläufig Hass. Mit Gewalt hat es gar nichts zu tun. Die NZZ erwähnte neulich Ronald Dworkin, einen der bedeutendsten US-Rechtsphilosophen des 20. Jahrhunderts: Ein Inhalt könne auch dann ein Beitrag zur politischen Diskussion sein, wenn er einen Angriff auf bestimmte Gruppen darstelle. Ein politisches ¬System, das die Redefreiheit wegen möglicher unliebsamer Äußerungen beschneide, könne gemäss Dworkin keine volle Legitimität genießen.

Die „Social Justice Warriors“, zu deren Mission es zählt, jedes verletzte Gefühl auf der Welt zu schützen, vergaloppieren sich zusehends. Als Mitglied einer Minderheitengruppe ist man bisweilen vielleicht Vorurteilen und Intoleranz ausgesetzt. Indem man aber Meinungen und Zeitungen von Hochschulen verbannt, behebt man keine Missstände, sondern unterdrückt die Stimmenvielfalt in einer Bevölkerung. Rede-Zensur taugt für Studenten als Vorbereitung auf das reale Leben etwa so gut wie Trigger Warnings vor einem Atomkrieg.

von

Tamara Wernli – 02.04.2017