Die dänische Partei „Det Radikale Venstre“ gründet sich am 21. Mai 1905 in Odense auf Fyn (Fünen) durch Abspaltung von der einst liberalen Partei Venstre, die heute einen mehr rechtsliberalen Kurds verfolgt.

Die „Det Radikale Venstre“ spaltete sich 1905 aus Protest gegen steigende Militärausgaben von der liberalen Partei Venstre ab. Wörtlich bedeutet der Name „Die radikale Linke“. Die Namensgebung „Linke“ erklärt sich aus der Position im Parteienspektrum des 19. Jahrhunderts: rechts die Konservativen, links die Liberalen; „radikal“ war sie im Sinne einer konsequent anti-konservativen und pazifistischen Grundhaltung.

Nach einer ersten Regierungsübernahme 1909–1910 konnte die RV erneut von 1913 bis 1920 den Regierungschef stellen. Als König Christian X. Ministerpräsident Carl Theodor Zahle gegen den Willen der Parlamentsmehrheit entließ, brach eine schwere Verfassungskrise aus. Nach zwei geschäftsführenden Kabinetten wurde dem 1901 etablierten Parlamentarismus dauerhaft Gültigkeit verschafft.

1924 gelangte die RV, allerdings nur als Juniorpartner der Sozialdemokraten, wieder an die Regierung. Als Koalitionspartner der Sozialdemokraten von 1929 bis 1943 war die Partei am Aufbau des Wohlfahrtsstaates beteiligt. Wegen ihrer pazifistischen Tradition lehnten die Radikalen militärische Gegenwehr im Falle eines deutschen Angriffs ab, der radikale Außenminister Peter Munch unterzeichnete im Mai 1939 einen Nichtangriffspakt mit Deutschland. Nach dem deutschen Einmarsch unterstützten sie die Politik der Zusammenarbeit.

1949 lehnte die Partei den NATO-Beitritt Dänemarks ab.

Mitte der 1960er Jahre wandte sich die RV stärker dem bürgerlichen Lager zu, was zu einer Mehrheitsregierung mit Rechtsliberalen und Konservativen unter dem RV-Politiker Hilmar Baunsgaard (1968–71) führte. Später stützte die RV sowohl den konservativen Ministerpräsidenten Poul Schlüter (1982–93) wie den Sozialdemokraten Poul Nyrup Rasmussen (1993–2001).

In den zehn Jahren der Regierungen Anders Fogh Rasmussen und Lars Løkke Rasmussen hatte die RV zunehmend die starre Blockpolitik kritisiert. Denn im Unterschied zu früher konnten die Sozialliberalen keinen Einfluss mehr auf die Regierungsbildung nehmen, während die Rolle der Rechtspopulisten mehr und mehr an Gewicht zunahm. Zuletzt konnten aber doch gewisse Erfolge in den Haushaltsberatungen erzielt werden.

Unter der populären Parteichefin Marianne Jelved erzielte die RV bei der Folketingswahl 2005 ihr bestes Ergebnis seit über 30 Jahren. Der Zuwachs an Mandaten ließ sich aber nicht in konkreten Einfluss ummünzen, und der Richtungsstreit, in welches Lager sich die RV einbinden lassen sollte, flammte wieder auf. Am 7. Mai 2007 spaltete sich ein Teil des rechten Parteiflügels um Naser Khader und Anders Samuelsen ab und gründete die „Ny Alliance“ (ab 2008 „Liberal Alliance“).

Im Sommer 2007 wurde die ehemalige Unterrichtsministerin Margrethe Vestager neue Parteiführerin. Bei der vorgezogenen Folketingswahl im November 2007 ging der Stimmenanteil der RV auf einen durchschnittlichen Wert zurück. Bei der folgenden Wahl im Herbst 2011 stritten die Sozialliberalen mit den Sozialdemokraterne, der „Socialistik Folkeparti“ (SF ( Sozialistische Volkspartei) und der rot-grünen „Enhedslisten“ (Einheitsliste) für einen Regierungswechsel. Sie konnten ihre Verluste wettmachen und wieder die Fraktionsstärke von 2005 erreichen. In der am 3. Februar 2014 gebildeten Regierung Helle Thorning-Schmidt II stellte die RV zunächst sieben von 20 Kabinettsmitgliedern, seit dem 2. September 2014 sechs.

Im September 2013 verließ der vormalige Kulturminister Uffe Elbæk die Partei und Fraktion der „Det Radikale Venstre“ und gründete kurz darauf eine neue Partei, die „Alternativet“.

Ministerpräsidenten

  • Carl Theodor Zahle, Oktober 1909 bis Juli 1910 und Juni 1913 bis März 1920. Justizminister 1929–1935
  • Erik Scavenius, November 1942 bis August 1943 (de iure bis Mai 1945). Außenminister 1909–1910, 1913–1920 und 1940–1943/45
  • Hilmar Baunsgaard, Februar 1968 bis Oktober 1971. Handelsminister 1961–1964

Parteichefs

In der RV bekleidet der „politisk Leder“ (Parteichef) niemals den Posten des „Partiformand“ (Parteivorsitzenden). Er ist entweder Fraktionsvorsitzender oder − sofern die Partei an einer Regierung beteiligt ist − Minister. In Übergangsphasen waren die realen Machtverhältnisse zwischen dem Fraktionsvorsitzenden und dem Politischen Sprecher nicht immer klar erkennbar. Die RV trennt traditionell scharf zwischen Parlamentsfraktion und Parteiorganisation. Deshalb kann ein Parteivorsitzender kein Abgeordnetenmandat ausüben, während der Parteichef notwendigerweise einen Sitz im Folketing innehat. Das bedeutet auch, dass weder das einfache Mitglied noch Parteitagsdelegierte ihre politische Führungsfigur direkt wählen können.

  • Carl Theodor Zahle, 1905–1928
  • Peter Munch, 1928–1940
  • Jørgen Jørgensen, 1940–1960 & Bertel Dahlgaard, 1953–1957
  • Karl Skytte, 1960–1966/68
  • Hilmar Baunsgaard, 1966/68–1975/77 & Svend Haugaard, 1975–1978
  • Niels Helveg Petersen, 1978–1990
  • Marianne Jelved, 1990–2007
  • Margrethe Vestager, 2007–2014
  • Morten Østergaard, seit 2014

Prominente Vertreter (Auswahl)

  • Viggo Hørup (1841–1902), geistiger Gründungsvater der Radikalen
  • Edvard Brandes (1847–1931), Finanzminister, Schriftsteller, Kulturdebatteur, Chefredakteur von Politiken
  • Ove Rode (1867–1933), Innenminister, Fraktionschef, Chefredakteur von Politiken
  • Hermod Lannung (1895–1996), UN-Diplomat, Delegierter im Europa-Rat, Mitbegründer der Liberalen Internationalen
  • Uffe Elbæk (* 1954), Cheforganisator der 2nd World OutGames, Parteiaustritt 2013

von

Günter Schwarz – 21.05.2017