Der Streit um Facebook weitet sich aus. Die Möglichkeit, dass von einem russisch-amerikanischen Forscher beschaffte Daten Donald Trump zum Sieg bei der US-Präsidentschaftswahl verholfen haben könnten, fachte in Washington den Streit um die Russen-Untersuchung neu an. Ein Whistleblower erklärt, wie seine Analysefirma User-Daten für Trump-Kampagne missbrauchte.

Das englische Wort „wily“ heißt auf Deutsch „verschlagen“, „tückisch“. Genau so ging Christopher Wylie vor, dessen Nachname gleich ausgesprochen wird. Der erst 28-jährige „Daten-Guru“ war in führender Stellung daran beteiligt, als er für die Firma Cambridge Analytica Daten von Millionen Facebook-Nutzern für politische Kampagnen verwertete. Am Samstag tauchte der gebürtige Kanadier mit Nasenring und rot gefärbtem Haar in der „New York Times“ und dem britischen „Observer“ auf. Wiley erzählte, wie genau die einst von Donald Trumps Ex-Berater Steve Bannon geleitete Firma zu ihren Daten kam und was sie damit anstellte.

Facebook gab den Datenverlust am Freitag erstmals zu und sperrte Wiley, Cambridge Analytica sowie deren Chef Alexander Nix vom sozialen Netzwerk. Der Rufschaden ist dennoch groß. In den USA verlangen Politiker, dass Facebook-Chef Mark Zuckerberg persönlich vor Kongressausschüssen erscheint. Der Aktienkurs des Sozialgiganten brach bis am frühen Nachmittag um sieben Prozent ein.

Cambridge Analytica habe „Fake-News auf die nächste Ebene gehoben“, sagte Wiley gestern bei seinem ersten Fernsehauftritt in den USA. Die Firma strebe „Informationsdominanz“ an. „Die Idee ist, dass man jeden Informationskanal um eine Person kapert und dann Inhalte einspeist, um die Wahrnehmung zu verändern, was vorgeht.“

Die Propagandamethode von Cambridge Analytica sei „krass unethisch“ gewesen, sagt der Whistleblower heute, „denn es wird mit der Psychologie der Menschen eines ganzen Landes gespielt, ohne deren Einverständnis oder Bewusstheit». Bevor er die Firma Ende 2014 verließ, war der junge „Daten-Guru“ aber voll mit von der Partie.

Wileys Spezialität ist der Zusammenhang von Wahlverhalten und der Psychologie bei Menschen. Er und sein Team im Umfeld der Cambridge-Universität fielen Nix auf, der im britischen Rüstungskonzern SCL Group die Wahlabteilung leitete. Gemeinsam testeten sie die Beeinflussungstechniken in Ländern der Karibik und Afrikas aus, bevor sie Geldgeber suchten.

Der Durchbruch gelang ihnen 2013, als sich der konservative amerikanische Milliardär Robert Mercer auf Empfehlung von Bannon bereit erklärte, 1,5 Millionen Dollar für ein Pilotprojekt auszugeben. Für die eigens gegründete Firma Cambridge Analytica versuchten Wiley und seine Leute im November, psychografische Botschaften in den Gouverneurswahlen von Virginia zugunsten des republikanischen Anwärters einzusetzen.

Der Kandidat, Ken Cuccinelli, verlor zwar gegen den Demokraten Terry McAuliffe. Mercer war trotzdem bereit, Cambridge Analytica für nationale Wahlgänge einzusetzen. Sein Ziel war es, die erfolgreiche Datenoperation Barack Obamas von 2012 zu übertreffen und Republikaner zu Siegen zu führen.

Wiley fehlte für dieses Projekt aber das nötige Datenmaterial. Fündig wurde er beim russisch-amerikanischen Psychologen Aleksandr Kogan am Psychometrischen Zentrum der Universität. Kogan hatte für seine eigene Firma Global Science Research (GSR) eine Facebook-App geschrieben, die Nutzer gegen eine kleine Bezahlung einlädt, an einer Umfrage teilzunehmen. Im Kleingedruckten willigt der Teilnehmer ein, dass seine Daten und die seiner Facebook-Freunde abgesaugt werden.

Kogan hatte bloß die Einwilligung von Facebook, diese Daten für akademische Zwecke zu nutzen. Das hielt ihn aber nicht davon ab, die Datensätze unbefugt Cambridge Analytica weiterzuverkaufen. Laut Wiley gelang es den Datenforschern, 270.000 Facebook-Nutzer zu gewinnen und ohne deren Mitwissen an die Daten von 50 Millionen Mitgliedern heranzukommen.

Was in der Folge geschah, ist hoch umstritten. Cambridge Analytica behauptet, die Facebook-Daten zerstört zu haben, als klar wurde, dass GSR sie illegal weitergegeben hatte. Nix sagt, im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 seien keine Facebook-Daten eingesetzt worden. Wiley hält dagegen, die Daten hätten noch vor Kurzem unverschlüsselt auf Firmenservern geruht.

Die Möglichkeit, dass von einem russisch-amerikanischen Forscher beschaffte Daten Donald Trump zum Sieg verholfen haben könnten, fachte übers Wochenende in Washington den Streit um die Russen-Untersuchung neu an. Demokratische Kongresspolitiker verlangen jetzt, dass Nix und Wiley persönlich zu ihren Machenschaften Rede und Antwort stehen.

Der größte Geschädigte könnte Facebook werden. Der Konzern hat zwar seine Nutzungsbedingungen verschärft, um zukünftig ähnliche Datenbeschaffungen zu unterbinden. Dennoch wächst die Kritik an seinen Praktiken. Die Forderung, Facebook sei zu regulieren oder gar aufzuspalten, wird Auftrieb erhalten.

von

Günter Schwarz – 21.03.2018