(Aabenraa) – Sedra Al-Yousef lernte Dänisch, belegte die 10. Klasse und beendete das Gymnasium in Rekordzeit. Jetzt ist Sedra zum Medizinstudium zugelassen.

In Aleppo war Sedra Al-Yousef die Tochter eines Zahnarztes und einer Hebamme sowie Nichte eines Chirurgen. Es lag ihr also im Blut, dass sie von Anfang an den Weg in die Medizin gehen wollte. Als der Krieg auch in Aleppo ausbrach, musste die Familie fliehen. Der Vater war neben seiner Zahnarztpraxis auch ein regierungskritischer Abgeordneter und wurde vom Assad-Regime verfolgt. So musste die Familie eine ganze Zeit heimlich und illegal in Dänemark leben, bevor sie als Flüchtlinge anerkannt wurde und darüber hinaus die Genehmigung zur Familienzusammenführung erhielt.

Als die Familie Al-Yousef vor gut vier Jahren nach Dänemark kam und sich in Aabenraa niederließ, war Sedra 17 Jahre alt. Ein durchschnittliches dänisches Mädchen befindet sich in dem Alter nach der Schule in einer Ausbildung, aber Sedra musste zuerst die dänische Sprache zu erlernen.

Es würde voraussichtlich zwei Jahre dauern, sagte man ihr in der Sprachenschule, aber Sedra dachte, das kann doch wohl nicht sein! „Ich habe einen Schock bekommen. Zwei Jahre in der Sprachenschule, dann in die 10. Klasse eines Gymnasiums für weitere Jahre. Ich dachte: Wann kann ich anfangen zu lernen?“ sagte sie.

Sedra beendete die Sprachschule nicht nach zwei Jahren sondern nur nach sechs Monaten und ging dann in die 10. Klasse eines Gymnasiums mit dem gleichen Unterricht wie alle anderen. Die Sekundarschule absolvierte sie innerhalb von zwei Jahren bei STUK in Toftlund, das zur Kommune Tønder gehört. „Ich hatte mir zum Ziel gesetzt, gut durchzukommen, und das habe ich erreicht“, sagte sie.

Sedra Al-Yousef suchte nach einem Studienplatz in Medizin in København, und diese Woche erhielt sie zusammen mit Hunderten von anderen zukünftigen Studenten ihre Zulassung zum Medizinstudium und kann ihr „Traumstudium“ beginnen. „Es bedeutet mir wirklich viel, und es ist mir nicht leicht gefallen“, sagte der junge Medizinstudentin. Besondere die Zeit auf dem Gymnasium war für Sedra Al-Yousef von Unsicherheit geprägt, so dass sie sogar kurz vor dem Schulabbruch stand. Es waren nicht die harten Anforderungen am Gymnasium oder die Schularbeiten, die sie betrafen, sondern es war der Krieg in Syrien. Im Jahr 2017 verlor Sedra 38 Familienmitglieder bei einem chemischen Angriff in der Stadt Khan Sheikhoun in Syrien.

„Ich fand es so unfair, dass ich in Dänemark in der Schule sitzen konnte, während meine Familie in Syrien starb“, erzählte sie und fuhr fort: „Ich habe die Schule ein paar Tage lang geschwänzt. Aber nachdem ich mit meinen Lehrern gesprochen hatte, überlegte ich mir, ich sollte Ärztin werden, damit ich den Menschen hier in Dänemark und vielleicht in Zukunft auch in Syrien helfen kann“, sagte sie. Die Aussicht auf eine Rückkehr nach Syrien sieht allerdings schwarz aus, meint sie.

„Ich denke nicht, dass es leicht ist zurückzukehren. Aber ich möchte Menschen helfen, wo immer ich kann, und es gibt auch Menschen in Dänemark, die Hilfe brauchen“, sagte sie.


Von links: Sedras Vater Mohamed Zuher, Sedra, Sedras kleiner Bruder Adel und Sedras Mutter Mona bei Sedra zu Besuch bei STUK in Toftlund.
Nachdem Sedra Al-Yousef das Abitur in der Hand mit einem Notendurchschnitt von 11,7 erhalten hatte – das dänische Notensystem, welches 2006 reformiert wurde, reicht von -3 (im Deutschen 6) bis 12 (im Deutschen 1) – berichtete sie auf Facebook von ihrer Flucht und wie sie vom Flüchtling zur Schülerin wurde.

Viele gratulierten ihr und lobten sie für ihre harte Arbeit. Auch Leute, die sie nie getroffen hatte. Aber es gab auch zahlreiche negative Kommentare, die sie täglich erhielt. „Wenn ich ständig an all die negativen Rückmeldungen denken würde, die Menschen mir oder über Flüchtlinge allgemein schreiben, wäre ich nicht so weit gekommen. Ich muss einfach weitermachen und diesen Leuten beweisen, dass ein Flüchtling nicht nur ein Flüchtling ist. Wir können so viel mehr für das Land tun, als nur Dänisch zu lernen“, lachte sie.

Obwohl Sedra Al-Yousef hart gearbeitet hat, um durch das dänische Bildungssystem zu kommen, glaubt sie, dass grundsätzlich alle Flüchtlinge die gleichen Chancen wie sie haben. „Jeder Flüchtling kann etwas zur Gesellschaft beitragen. In Dänemark haben sie die Möglichkeit und Freiheit, einen Beitrag auf ihre eigene Art zu leisten, und es muss keine Ausbildung sein, wie ich sie anstrebe“, betonte sie.

Trotz der harten Schulausbildung hat Sedra Al-Yousef privat viele dänische Freunde bei STUK gewonnen, weil sie auch im Internat der Schule lebte. „Wenn man sich im Land sicher fühlt, kann man tun, was man will. Es ist nur wichtig, dass wir uns als Gesellschaft gegenseitig unterstützen. Unsere Vorurteile sollten nicht so sein zu denken, dass nicht jeder Flüchtling das erreichen kann, was er will, wenn er nur hart genug an sich arbeitet“, sagte Sedra Al-Yousef.

von

Günter Schwarz – 02.09.2018