Wer im späten Mittelalter als armer Mensch einen Kredit brauchte, war arm dran. Denn zumeist war er auf Wucherer angewiesen, deren Zinsen die Not nur vergrößerten. Um Abhilfe zu schaffen, gründeten die Franziskaner in Italien die Monte di Pietà – Institute, die Armen kleine Summen gegen Pfand und niedrige Zinsen gewährten. Eines dieser Institute, die Monte Pio, wurde 1472 in Siena gegründet. Heute heißt sie Banca Monte dei Paschi di Siena und ist die älteste Bank der Welt. Der kleine Pfandleiher ist jetzt jedoch zu einem gigantischen Problem für Europa herangewachsen. Heute hängt an ihm nicht nur das Schicksal des Bankensektors und des Ministerpräsidenten Italiens. Auf dem Spiel steht die Finanzstabilität Europas und die Glaubwürdigkeit der EU.

Rom will helfen

Italiens Bankenkrise ist derzeit – neben Flüchtlingsfrage und Großbritanniens Austritt – das drängendste Problem der EU. Italiens Institute schieben einen Berg von 333 Milliarden Euro an faulen Krediten vor sich her, und je länger sie schieben, umso näher rückt die Stunde der Wahrheit. Die Regierung in Rom will den Geldhäusern helfen, stößt dabei aber auf den Widerstand der EU, die derartige Hilfen streng begrenzt hat. Wird kein Kompromiss gefunden, droht eine Kreditkrise im Herzen der Euro-Zone.


Faule Kredite der Banken (in % aller vergabenen Kredite)
Dass Italien unter einer Bankenkrise leidet, ist eigentlich überraschend. Anders als Länder wie Spanien, Irland oder die USA erlebte das Land vor der großen Finanzkrise keinen Kredit- und keinen Immobilienboom. Private Haushalte sind kaum verschuldet, die Defizite der Regierung sind gering. Der Finanzsektor litt zunächst kaum unter der Krise.

Zwar erlebte Italien 2009 keinen plötzlichen Crash. Stattdessen aber rieben jahrelange Wirtschaftskrise und Stagnation den Bankensektor auf. In fünf der vergangenen acht Jahre schrumpfte die Wirtschaftsleistung, die längste Rezession der Nachkriegszeit kostete das Land ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Immer mehr Firmen werden zahlungsunfähig und können ihre Darlehen nicht mehr bedienen. Das spüren die Banken: Aus ehemals guten Krediten werden faule. Dazu kommt das extrem niedrige Zinsniveau, das sich in die Erträge der Banken frisst.

Sparer wurden abgestraft

Seit Jahren versuchen die wechselnden Regierungen und Banken, das System zu stabilisieren. So wurde die Krisenbank Monte dei Paschi zweimal vom Staat gerettet und beschaffte sich zehn Milliarden Euro neues Kapital – nicht genug. Im Durchschnitt schrieben Italiens Geldhäuser mehr die Hälfte ihrer übelsten Kredite ab – nicht genug. Kleinere Regionalbanken wurden in die Pleite geschickt, was die Ersparnisse vieler italienischer Haushalte vernichtete. Anderen Instituten bot der Staat Sicherheiten, um sie für Kreditgeber attraktiv zu machen – aber nicht genug. Daneben hoffte Rom darauf, dass die Wirtschaft anzieht und sich so das Problem von selbst erledigt.

Das ist nicht geschehen. 16 Prozent der vergebenen Kredite sind heute notleidend – bei der Monte dei Paschi sind es 40 Prozent. Zum Vergleich: EU-weit liegt der Wert bei sechs Prozent. Zum Hochpunkt der Finanzkrise zählten den US-Banken einen Anteil fauler Kredite von nur fünf Prozent.

Nun droht eine Finanzkrise in der viertgrößten Ökonomie der Euro-Zone. Dies träfe die Kleinsparer des Landes – sie haben den heimischen Banken über Schuldverschreibungen mehr als 200 Milliarden Euro geliehen. Für die Regierung in Rom wiederum fielen die heimischen Institute als wichtigster Finanziers aus. Aber auch die europäischen Konkurrenten würden leiden: Allein bei französischen Gläubigern stehen Italiens Kreditinstitute mit 250 Milliarden Euro in der Kreide, bei deutschen immerhin mit rund 80 Milliarden.

von

Günter Schwarz – 13.07.2016