Der deutsche Schriftsteller Stephan Sarek (*1957) behauptet: „Der Jugend gehört die Zukunft, den Alten die Vergangenheit, dem Weisen der Augenblick.“

Wenn der Jugend die Zukunft gehört, sollte sie aber langsam mal „ in die Puschen“ kommen!

Derzeit liest und hört man immer wieder, dass der armen britischen Jugend durch den Brexit – hervorgerufen durch griesgrämige, alte Nationalisten – ihre blühende Zukunft geraubt worden sei. Eine überwältigende Mehrheit der Jugend habe für den Verbleib in der europäischen Familie gestimmt. Der Brexit sei ein Skandal und grobes Vergehen an den Zukunftschancen dieser jungen, aufstrebenden Generation. So wird zumindest immer wieder gerne berichtet. Die Optimisten unter den Vertretern dieser These, erklären, dass die „young Generation“, die Millennials, die untereinander so vernetzt in Europa und über die ganze Welt sind, dass es – verzeiht die derbe Formulierung – nur ein biologisches Problem darstelle, bis die verknöcherte, nationalistische Garde weggestorben sei und die progressiven, jungen Internationalisten das Ruder übernehmen.

Nicht weil mir persönlich immer bewusster wird, dass ich mich mit mäßig schnellen Schritten aus dem Lager der Jugend verabschiedet habe und mich inzwischen in dem des Alters bewege, möchte ich Einspruch gegen diese romantisierende Jugendverherrlichung einlegen. In der Tat gibt es vieles, was dafür spricht, dass die Geschichte ein hartes Urteil über meine Generation fällen wird, die das Erbe nach dem Zweiten Weltkrieg – die Versöhnung der Nationen und den Aufbau der Europäischen Einigung – derzeit fahrlässig in den Sand setzten.

Doch die Jugend scheint nicht wirklich die Speerspitze der Veränderung zu sein, die unsere geschichtsnegierende Idiotie aufzuhalten versucht oder vermag, den politischen Trend zum Nationalismus abzuwenden. Es ist bedenklich still in den jungen Generationen – kein Radau, kein Aufschrei, keine Randale. Sogar die Kritik am Alter, wird zumeist vom Alter selbst hervorgebracht.

Doch schauen wir uns die Zahlen an: Wenn man das Wahlergebnis in Großbritannien betrachtet, ist es in der Tat so, dass rund 75 Prozent der jungen Wähler für den Verbleib – den Bremain – gestimmt haben. Aber es sind nur 2 Prozent(!) der jungen Wähler zur Wahl gegangen. Alle anderen verfolgten diese Schicksalsentscheidung wohl lieber unpolitisch auf Facebook, Twitter, Instagram & CO. bei einer lauwarmen Café Latte oder im Pub vor der „Guckkiste“ mit einem schaumlosen Pint Ale in der Hand.

Ganz anders verhielten sich dagegen die so verteufelten „Alten“ – sie haben in der überwiegenden Mehrheit für den Brexit gestimmt, und sie sind auch mit bis zu 80 Prozent an die Wahlurnen gegangen und haben sich erst danach in den Pub zum ihrem Pint Guinness begeben. Noch werden im Pub an der Ecke oder in der Straße die wichtigen Tagesthemen über Politik, Gesellschaft, Sport, Autos und Frauen unter seinesgleichen besprochen, bevor wichtige Entscheidungen getroffen werden.

Und wo bleibt jetzt der Protest, das Aufbegehren der Jugend, gegen die Generation, die gerade ihre Zukunft zu versenkt hat? Wo sind die Straßenproteste, die Randale, wo sind die Campus-Besetzungen und die brennenden Autos?. Natürlich kann man von der „Alete und Hipp Generation“ kein politisches Engagement, wie in den 1960er Jahren mehr verlangen (in diesen Tagen jährt sich der Beginn der Studentenunruhen der sogenannten 68er Generation zum 50. Mal!), doch es scheint mir bezeichnend, dass sich über die Jugend der Schleier von Biedermeiern gezogen hat, die sich selbst zwar als Hipster oder Yuppies verstanden wissen wollen und die in der Realität nichts anderes als egoistische und opportunistische Softies oder „Warmduscher“ sind, denen jegliche Risikobereitschaft wie der Generation der 68er fehlt.

Mit 18 wissen schon viele, wo sie mit 30 sein wollen und in welchem Haus sie mit 35 leben werden. Die Karriere wird bis ins Details durchgeplant, was sogar denUniversitätsdurchlauf im Schnellverfahren einschließt. Die Familienplanung steht spätestens mit 20 bis ins Detail einschließlich der Haarfarbe der Kinder sowie einkalkulierter Zahnlücken fest. Das Eigenheim und Zweitwagen mit 35 ist normal – das erst mit 40 Jahren zu erreichen wird schon fast als Versagen gewertet. Da bleibt natürlich nur wenig Zeit für politisches Engagement.

Die politischen Parteien sind nur etwas für Karrieristen, denn wer will schon 20 Jahre lang bei Grillabenden Würstchen wenden und Bier nachschenken dürfen, bevor er wirklich Einfluss bekommen kann. Eine APO – eine Außerparlamentarische Opposition wie in den 1960er Jahren – gibt es nicht einmal in Denkansätzen. Die heutige Jugend ist sich selbst genug, und das wird mit aller Sicherheit zu einem bösen Erwachen führen. Die Jahrzehnte der Sicherheit und Stabilität, der Ruhe und Geborgenheit, welche die Jugend von Kindheit an nur kennt und sich nichts anderes vorstellen kann, sind kein vom Herrgott gegebenes Gebot. Ich rate allen, die ersten Kapitel von Stefan Zweigs „Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers“ und „1913: Der Sommer des Jahrhunderts“ von Florian Illies zu lesen.
Früher wurde meiner Generation von den Eltern oft gesagt, die Jugend müsse sich endlich die Haare schneiden und verdammt noch mal fleißig arbeiten gehen – heute wünsche ich mir klammheimlich, dass die Haare etwas weniger schön gestylt sind, und dafür dürfte der Protest auf der Straße reichlich lauter sein.

Ja, ich weiß, es ist immer ein echtes Armutszeugnis, auf „die Jugend“ einzuprügeln; denn eigentlich sollten auch wir selbst viel aktiver und lauter werden. Doch bei den politischen Veränderungen, die sich derzeit über den ganzen Kontinent ziehen, wird einem verdammt mulmig, und man blickt sich insgeheim verstohlen um – nach einem lauten jugendlichen Aufschrei aus Protest.

von

Günter Schwarz – 18.07.2016