Am heutigen Sonntag wollen Tausende Erdoğan-Anhänger in Köln auf die Straße gehen. Ob dabei auch Politiker aus der Türkei zugeschaltet werden, entscheidet sich in Karlsruhe. Der türkische Präsident Erdoğan erhebt derweil schwere Vorwürfe gegen Berlin und Wien.

Vor der umstrittenen Großkundgebung von Türken in Köln hat die Polizei die Zahl der Einsatzkräfte aufgestockt. Ein Verbot der Versammlung von Anhängern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan komme daher und „nach Bewertung der Gefährdungsaspekte“ rechtlich nicht in Betracht, erklärte der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies. Zuvor hatte er sich ein Verbot der Kundgebung noch offengehalten. Während Politiker verschiedener Parteien die Teilnehmer zur Mäßigung aufriefen, warf Erdoğan Deutschland und Österreich mangelnde Meinungsfreiheit vor.

Die in Deutschland und Österreich lebenden Türken dürften nicht protestieren, sagte Erdoğan am Freitagabend. Ihnen sei es gar verboten worden, die türkische Flagge vor ihren Häusern zu hissen. Beide Äußerungen entsprechen aber nicht der Wahrheit: Erstens gibt es in Deutschland kein Flaggenverbot für die türkische Flagge und zweitens ist die Großkundgebung der Erdoğan-Befürworter in Köln weiterhin genehmigt.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber kritisierte die Pro-Erdoğan-Demonstration. „Wer der Abwicklung der türkischen Demokratie befürwortet, hat hier nichts verloren“. Konflikte in anderen Regionen oder Ländern dürften nicht in Deutschland ausgetragen werden.

An der für heute geplanten Kundgebung mit dem Titel „Ja zur Demokratie – Nein zum Staatsstreich“ könnten nach Schätzungen der Polizei bis zu 30.000 Menschen teilnehmen. Vier Gegendemonstrationen sind angemeldet, unter anderem aus dem linken Spektrum sowie von Jugendorganisationen deutscher Parteien. Ebenfalls demonstrieren will die rechte Partei Pro NRW. Auch diese Demo darf stattfinden – das Oberverwaltungsgericht in Münster wies eine Beschwerde der Polizei, die Sicherheitsbedenken hat, dagegen zurück.

Karlsruhe muss entscheiden

Angesichts der angespannten Lage und der hohen Zahl an Demonstranten forderte Kölns Polizeipräsident Mathies weitere Hunderte Einsatzkräfte an. Inzwischen stehen seinen Angaben zufolge 2700 Beamte für den Einsatz am Sonntag bereit. Zuvor waren 2300 Beamte eingeplant. Mathies bekräftigte im WDR, „sofort und konsequent“ gegen Gewalt einzuschreiten. „Beim Zusammentreffen von Linksextremisten und Rechtsextremisten müssen wir leider immer davon ausgehen, dass nicht nur Meinung geäußert wird.“ Er sei „zuversichtlich, dass Köln am Sonntag einen friedlichen Tag erlebt“, sagte Mathies mit Blick auf diese massive Präsenz.

Nach Angaben der Veranstalter kommen zu der Kundgebung nicht nur Anhänger Erdoğans, sondern auch Gegner. Denn das eigentliche Thema sei nicht Erdoğan, sondern der vereitelte Militärputsch, betonte der Generalsekretär der mitorganisierenden Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), Bülent Bilgi.

Laut Polizeipräsident Mathies tritt der Sportminister der Türkei auf der Demonstration auf. Dies sei in die bisherige Lagebewertung bereits eingeflossen. Einen Auftritt des türkischen Außenministers habe er verhindern können, sagte Mathies. Zugleich wies er Erdoğans Kritik zurück, türkischstämmige Bürger würden in Deutschland in ihrem Demonstrationsrecht eingeschränkt. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Herr Erdoğan hier auch nur ansatzweise Recht hat.“

Eine erste Gegendemo in der Kölner Innenstadt mit etwa 150 Teilnehmern verlief am Samstag friedlich. Redner verurteilten sowohl den Militärputsch als auch Erdogan, der den Umsturzversuch für „antidemokratische Maßnahmen“ missbrauche.

Rede Erdoğans übertragen?

Gestritten wird noch um eine Live-Zuschaltung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Die Veranstalter wollen eine Rede Erdoğans aus der Türkei übertragen, doch der Polizeipräsident hat dieses verboten. Das Verwaltungsgericht Köln und das Oberverwaltungsgericht in Münster bestätigten es, doch die Anmelder der Kundgebung schalteten auch noch das Bundesverfassungsgericht ein. Mathies sagte, er wolle eine Zuschaltung Erdoğans unbedingt verhindern, „um zu vermeiden, dass es zu einer hochemotionalisierten Lage kommt“.

Innenpolitische Spannungen aus der Türkei nach Deutschland zu tragen und Menschen mit anderen politischen Überzeugungen einzuschüchtern, „das geht nicht“, sagte derweil Außenminister Frank-Walter Steinmeier der „Süddeutschen Zeitung“. In Deutschland gebe es dafür keinen Platz, „und das werden wir auch nicht zulassen“, so der SPD-Politiker.

„Wir erwarten, dass sich die Teilnehmer in Köln an Recht und Gesetz halten“, mahnte Unionsfraktionschef Volker Kauder in der „Passauer Neuen Presse“ und sprach sich gegen ein Verbot der Großkundgebung aus. „Demonstrationen gehören zu unserer Demokratie, auch wenn einzelne Aussagen von Demonstranten schwer zu ertragen sein mögen“, sagte der CDU-Politiker.

Grünen-Chef Cem Özdemir sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, Demonstrationen für oder gegen die türkische Führung müssten in Deutschland „auf dem Boden unserer Rechtsordnung“ stattfinden. Er beklagte massive Einschüchterungsversuche im Vorfeld der Demonstration. „Wir erleben, dass hierzulande Jagd gemacht wird auf türkische Oppositionelle“, sagte Özdemir.

von

Günter Schwarz – 31.07.2016