Was versteht der durchschnittliche Europäer unter Wohlstand? Ist es ein hohes Einkommen, ein großes Haus, ein dickes Portemonnaie oder sind es vielleicht noch eine gute Gesundheit und eine funktionierende Gesellschaft? Und führen uns hohe Zinssätze der Banken, Versicherungen oder Börsen und ein lukratives Wirtschaften dorthin?

Viele stehen auf dem Standpunkt, Glück kann an finanziellem und/oder materiellem Besitz gemessen werden. Und deshalb wird der Wohlstand eines Landes nach europäischen Maßstäben nach wie vor am Bruttoinlandsprodukt (BIP) abgelesen. Doch auch in wirtschaftlich schwächeren und nach unserem Verständnis sogar armen Gegenden der Erde sind die Menschen glücklich. An manchen Orten sogar besonders glücklich. Wie beispielsweise in Costa Rica, oder Bhutan.

Um das Glück der dort lebenden Menschen zu erfassen, sind andere Indikatoren nötig.

Brauchen auch wir Alternativen zum BIP?

Die Politik hat es zwar noch nicht erkannt, aber sie bekommt so langsam eine Ahnung davon.. Die EU-Kommission empfahl Anfang des Jahres die EU-Mitgliedsstaaten darum, Werte wie Bildungsabschlüsse, Gesundheit oder Artenvielfalt mit einzubeziehen, die das BIP ergänzen sollen.

Eine Expertenkommission unter dem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz formulierte im Auftrag der französischen Regierung 2009 Alternativen zum BIP.

Costa Rica glücklicher als Deutschland

Eine solche Alternative ist der Happy Planet Index. Dieser Wohlstandsindikator bezieht sich nicht nur auf die wirtschaftliche Leistung innerhalb eines Landes während eines Jahres. Sondern der Happy Planet Index soll Aufschluss über ein langes, glückliches und vor allem nachhaltiges Leben geben. Lebenserwartung, Ungleichheiten in der Bevölkerung, ökologischer Fußabdruck – dies sind einige der wichtigsten Variablen, die den Indikator ausmachen.

Bei diesen Indizes liegt Costa Rica weit vorne. Gefolgt von anderen Ländern aus Lateinamerika und dem Asien-Pazifik-Raum – und nicht etwa westliche Länder wie die Schweiz, Schweden oder Dänemark.

Weniger Ressourcen, trotzdem zufriedener

Aber weshalb ist gerade Costa Rica Spitzenreiter? – Erstens leben dort laut einer Gallup-Umfrage die glücklichsten Menschen der Welt. Zweitens werden diese im Durchschnitt knapp 80 Jahre alt – einer der höchsten Lebenserwartungen der Welt. Und drittens: Der durchschnittliche Costa Ricaner hat einen ökologischen Fußabdruck von rund 2,8 Hektar – die Hälfte dessen, was ein Europäer für den Erhalt seines Lebensstandards braucht.

Kurzum: Die Menschen in dem fünf Millionen Einwohner zählenden Land kommen mit weniger als wir aus, sind aber dennoch glücklicher.

Und dafür legt sich auch der Staat ins Zeug. 2021 möchte Costa Rica als erstes Land der Welt CO2-neutral sein. Bereits jetzt versorgt sich das Land komplett mit Ökostrom, während der Verbrauch gleichzeitig nur halb so hoch wie der in Deutschland ist.

„Sehnsucht nach Alternativen ist groß“

Das Beispiel zeigt uns, wir benötigen einen neuen Ansatz, um Wohlstand zu messen und zukünftige Entwicklungen abzuschätzen.

Das gilt vor allem für Europa und die USA: „Die Menschen in den Industrieländern realisieren, dass sie in einem unglaublichen Tempo leben“, erklärt Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. „Es wächst das Unbehagen gegenüber der Vorherrschaft des Ökonomischen in allen Lebensbereichen. Die Sehnsucht nach Alternativen ist groß.“

>Das Problem jedoch ist, viele Menschen sehen keinen Ausweg aus der Wachstumslogik, weil auch die Sozialsysteme wie Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversorgung usw. an das Wirtschaftswachstum eines Landes gekoppelt sind. Es ist ein Dilemma, so Unmüßig: „Wirtschaftswachstum gilt nach wie wir als die Antwort auf ökonomische und soziale Krisen, auch wenn sich dann die ökologische Krise verschärfen wird.“

Buddhistische Prinzipien und Werte als Vorbild?

Ein Land, das seinen Wohlstand nicht am BIP misst, ist Buthan. Schon vor gut 30 Jahren entschied der König des südasiatischen Kleinstaates im Himalaya sich für das “Bruttonationalglück” zum Maß für den Wohlstand seines Volkes.

Statt auf reinen ökonomischen Faktoren basiert die Maßzahl auf buddhistischen Prinzipien und Werten, die Nachhaltigkeit und die eigene nationale Identität beinhalten. Ein Vorbild auch für westliche Länder?

„Das Problem ist, dass wir von der Vielfalt an Messmöglichkeiten überflutet werden”, sagt Prof. Michael Grömling vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. „Es gibt nicht den einen richtigen Indikatoren-Satz.“

Der Happy Planet Index könnte ein guter Weg zu einem neuen Ansatz sein, bisher wird er allerdings in Studien kaum berücksichtigt. Deshalb wird das BIP weiterhin maßgebend sein. Denn es gibt wenige Indikatoren, die international so vergleichbar sind wie das BIP. Aber, warnt Grömling: „Es erfüllt nicht den Zweck eines alleinigen Wohlstandsmaßes.“

Es lohnt sich also stets den Blick auf andere Faktoren als die Wirtschaft zu lenken. Und auf andere Länder – etwas Costa Rica oder Buthan.

von

Günter Schwarz – 29.08.2016