(Ankara) – Der umstrittene Machtausbau des türkischen Präsidenten Erdogan sorgt für Unruhe, Protest und Streit. Im türkischen Parlament haben Anhänger von Regierung und Opposition ihren Streit um die geplante Verfassungsreform, nachdem die verbalen Argumente ausgegangen waren, nach „türkischem Demokratieverständnis“ handgreiflich fortgesetzt. Abgeordnete beider Lager – ob „Männlein“ oder „Weiblein“ – gingen gestern im Plenum in Ankara aufeinander los, nachdem eine unabhängige Abgeordnete sich aus Protest gegen das Reformprojekt mit Handschellen an ein Mikrofon gekettet hatte und eine Dauerrede hielt. Letztendlich führte die „Schlacht im Parlament“  um das „Diktat eines einzigen Mannes“ zu zwei verletzten Abgeordneten.

Zwei weibliche Abgeordnete – eine von der Regierungspartei AKP und eine von der prokurdischen Partei HDP – seien leicht verletzt worden und hätten in ein Krankenhaus gebracht werden müssen, berichteten türkische Medien. Auf Fotos war zu sehen, wie sie von Sanitätern auf Tragen aus dem Plenarsaal gebracht wurden.

„Diktat eines einzigen Mannes“

Im Parlament stand in zweiter Lesung die Debatte über die Verfassungsreform an, die die Türkei zu einer Präsidialrepublik mit einem deutlich gestärkten Präsidenten machen soll. Kritiker sehen darin einen Versuch von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan, seine Macht noch weiter auszubauen, um ihn zum Alleinherrscher und damit zum Diktator über das Land zu machen.

Die Reform laufe auf das „Diktat eines einzigen Mannes“ hinaus, kritisierte die Abgeordnete Aylin Nazliaka, die sich an das Rednermikrofon im Sitzungssaal kettete. „Ich protestiere gegen die Abschaffung der republikanischen Werte und gegen die Fesselung des Parlaments“, rief sie.

Alle Macht dem Präsidenten

Mit der Reform soll das Amt des Ministerpräsidenten abgeschafft werden. Dessen Befugnisse sollen auf den Präsidenten übertragen werden. So soll er künftig Minister ernennen und entlassen können, ohne dafür die Zustimmung des Parlaments zu benötigen, sowie die Arbeit der Regierung leiten.

Die Reform soll nach der nächsten Wahl im November 2019 in Kraft treten. Allerdings ist Umfragen zufolge derzeit ungewiss, ob sie bei dem im April geplanten Referendum vom Volk gebilligt wird.

von

Günter Schwarz – 20.01.2017