Dieser Artikel aus Netzpolitik.Org  von Jesper Lund, Mitglied bei IT-Pol, erschien zuerst auf Englisch auf der Website von „European Digital Rights“. Übersetzung: Sven Braun.

Die dänische Regierung will mit einem Gesetzentwurf terroristische Aktivitäten im Internet bekämpfen, dafür sind Netzsperren vorgesehen. Als Voraussetzung für eine Sperrung werden weit gefasste Begriffe genannt, die eine umfassende Internetzensur ermöglichen.

Am 12. Januar 2017 veröffentlichte das dänische Justizministerium einen Gesetzentwurf zur öffentlichen Konsultation, der Netzsperren vorsieht. Dieser Schritt wurde schon seit einigen Monaten erwartet, im Rahmen der staatlichen Maßnahmen gegen Onlineextremismus und -radikalisierung.

Dänemark wirkt nur sehr begrenzt im Bereich Justiz und Inneres der Europäischen Union mit, deshalb lässt sich die neue EU-Richtlinie zur Terrorbekämpfung, die ebenfalls eine optionale Regelung zu Netzsperren beinhaltet, nicht auf Dänemark anwenden.

Jede Straftat kann zu einer Netzsperre führen

Obwohl der offizielle Fokus auf Extremismus und Radikalisierung liegt, lässt der Gesetzentwurf offen, welche Webseiten gesperrt werden können. Der vorgeschlagene neue Paragraf im „Administration of Justice Act“ besagt, dass eine Website gesperrt werden kann, wenn Grund zur Annahme vorliegt, dass eine Verletzung des dänischen Strafgesetzes vorliegt.

Jegliche Verletzung des Strafgesetzes kann ein Grund zur Sperrung darstellen, einschließlich neuer und ausgeweiteter Bestimmungen gegen Belästigungen von Beamten, welche deutlich über Beleidigungen und Verleumdung hinausgehen.

Dieses „Grund zur Annahme“-Kriterium ähnelt laut den Anmerkungen zur Gesetzesvorlage einem Paragrafen des „Administration of Justice Act“. Dort gibt es ein Kriterium zum Beschlagnahmen von Artikeln von Dritten, die keine Tatverdächtigen sind. Der dänische Staatsanwalt für schwere wirtschaftliche und internationale Verbrechen benutzte diesen Paragrafen, um eine große Anzahl an .dk-Domains zu beschlagnahmen, aufgrund von eher weit gefassten Gründen wie Urheberrechtsverletzungen.

Zur Verdeutlichung: Letztes Jahr gab der Staatsanwalt bekannt, dass 423 Domains beschlagnahmt wurden, die im Verdacht standen, dänische Konsumenten betrogen zu haben.

Niedrige Voraussetzungen für Netzsperren

Die Entscheidung für eine Netzsperre wird immer eine richterliche Anordnung benötigen, aber das „Grund zur Annahme“-Kriterium und die zugehörige Rechtsprechung, um Domainnamen anhand des „Administration of Justice Act“ zu beschlagnahmen, suggeriert, dass die Voraussetzungen für Netzsperren ziemlich niedrig sein werden. Außerdem werden die gerichtlichen Urteile von Gerichten in niedriger Instanz getroffen, an denen nur die Polizei teilnimmt.

Es gibt keine Gegenpartei beim Gerichtsverfahren und keine Möglichkeit zur Berufung, wenn es zu einer Netzsperre kommt. Der Eigentümer einer Seite wird erst benachrichtigt, nachdem die Entscheidung gefallen ist. Ähnlich verhält es sich bei dem jetzigen Verfahren zur Beschlagnahmung von Domains, welches als Inspiration für die neue Sperrregelung zu dienen scheint.

Es existiert keine Vorschrift für Polizisten, dass zuerst weniger drastische Optionen erwogen werden müssen als das Blockieren einer ganzen Website. Ein Beispiel wäre die Entfernung von angeblich illegalem Material durch gegenseitige Rechtshilfe mit Behörden in den Ländern, in denen das Material gehostet ist. Die Vorgaben für Netzsperren wären einheitlich mit den Maßnahmen, die von der dänischen Polizei gegen Kinderpornografie eingesetzt werden.

Im Jahr 2010 veröffentlichte der deutsche Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur eine Studie über die geheime dänische Sperrliste gegen Kinderpornografie, nachdem sie geleakt wurde. In nur 30 Minuten schafften es Aktivisten des Arbeitskreises, Websites mit kinderpornografischen Inhalten, die seit zwei Jahren auf der Sperrliste waren, zu entfernen, indem sie einfach den Hosting-Anbieter für die Seite kontaktierten.

Mangelhafter Schutz von Grundrechten

Der Gesetzentwurf ist sehr mangelhaft, was den Schutz von Grundrechten angeht. Es gibt einen eher vage gehaltenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, welcher besagt, dass eine Website nicht gesperrt werden kann, wenn die Blockade unverhältnismäßig ist im Vergleich zu der Bedeutung des Falls und des Nachteils, der durch die Blockade entstehen würde. Gerichte haben nur eine einzige Vorgabe zur Interpretation des Grundsatzes. Sie besagt, dass die Website eines sozialen Netzwerks nicht gesperrt werden kann, wenn nur ein einziges Profil Material enthält, das gegen das dänische Strafgesetzbuch verstößt.

Zusätzlich dazu, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit schwammig formuliert ist, bleibt es unklar, wie er in der Praxis angewendet werden soll, da nur die Polizei vor Gericht erscheint. Da die Entscheidung für eine Sperrung von Gerichten in unteren Instanzen ohne Möglichkeit der Berufung (es sei denn, der polizeilichen Anfrage wird nicht stattgegeben) getroffen wird, ist es sehr unwahrscheinlich, dass konsistente juristische Kriterien für Netzsperren angewendet werden.

Die Anmerkungen zu dem Gesetzentwurf betonen, dass Netzsperren im Konflikt mit der Meinungsfreiheit stehen. Abgesehen davon gibt es keine Berücksichtigung der Auswirkungen auf Grundrechte. Weder auf Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention noch auf Artikel 11 der EU-Grundrechtecharta, die beide Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit zum Thema haben, wird verwiesen. Die Charta ist deshalb relevant, weil die EU-Verordnung zur Netzneutralität vorsieht, dass nationale Gesetze zu Netzsperren mit ihr im Einklang sein müssen.

Ungeachtet der Anmerkungen zu dem Gesetz sind dänische Gerichte an die Menschenrechtskonvention gebunden. Da allerdings nur die Polizei Teil des Gerichtsverfahrens ist, müssen Gerichte niederer Instanz, mit wenigen Ressourcen, den gesamten Inhalt der Website selbst analysieren und die relevante Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte berücksichtigen (die vom Justizministerium anscheinend nicht berücksichtigt wurde). Nur so können sie entscheiden, ob eine Netzsperre mit den Anforderungen übereinstimmt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass das passiert.

Budgetlimit könnte massenhaftes Sperren verhindern

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das dänische Justizministerium einen Gesetzentwurf vorgestellt hat, der sehr umfangreiche Befugnisse zum Einsatz von Netzsperren vorsieht, mit sehr begrenzter Rechtssicherheit gegen unverhältnismäßige Blockaden/Sperren, und mit einer wahrscheinlich mehr formalen als realen gerichtlichen Kontrolle. Dieses Gesetz könnte zu erheblicher Internetzensur in Dänemark führen.

Interessanterweise sagt das Justizministerium selbst, dass das neue Gesetz viele Websites betreffen könnte und dass die Polizei die Ressourcen für eine Sperrungsverfügung gegen die Schwere des Verbrechens abwägen müsste. Es scheint, als ob das Budgetlimit der Polizei den größten Schutz gegen Netzsperren darstellt.

Sperre leicht zu umgehen

Die Sperre wird auf Ebene des „Domain Name System“ (DNS)-Dienstes implementiert werden. Dabei werden Internetanbieter verpflichtet, der Polizei beim Verfälschen der DNS-Abfrage für die blockierte Website in ihren eigenen DNS-Servern zu helfen. Außerdem müssen sie eine Sperr-Seite einrichten, die den Endnutzer darüber informiert, dass er eine Website besucht, die durch eine gerichtliche Anordnung gesperrt wurde. Die Tatsache, dass die Sperre auf DNS-Ebene durchgeführt wird, ist womöglich das einzige tröstliche Element des Entwurfs, weil DNS-Sperren von Internetnutzern leicht zu umgehen sind.

Das dänische Justizministerium ist sich dieser Möglichkeit bewusst, denkt aber, dass der Zugang zu illegalem Material für den durchschnittlichen Nutzer reduziert wird. Personen, die aktiv nach radikalen Inhalten im Internet suchen, sind wahrscheinlich sowieso keine „durchschnittlichen“ Nutzer.

von

Netzpolitik.Org  – 31.01.2017

https://netzpolitik.org/2017/daenemark-neues-gesetz-koennte-zu-erheblicher-internetzensur-fuehren/