(Hadsten ) – Keinen Stress, keinen Alkohol und keinen Mann seit 27 Jahren. Kann das das Rezept für ein langes Leben sein? Die Antwort findet sich bei Karen Egestad, die am Freitag, den 14. Speptember 2018, das Alter von 110 Jahren erreicht hat.

Karen Egestad sitzt immer in dem gleichen Sessel in ihrem Zimmer im Pflegeheim Møllegården in Hadsten in Midtjylland (Mitteljütland) etwa 15 Kilometer nördlich von Randers. Wenn sie dort sitzt, weiß sie genau, wo alles steht und sich alles befindet. Obwohl ihr Erinnerungsvermögen noch nicht versagt, hat Karen Schwierigkeiten mit den Augen und sieht nicht mehr so gut.

„Die Welt war damals schön. In meiner Jugend haben wir jeden Tag von vier Uhr morgens und bis neun Uhr abends gearbeitet. Nach dem Aufstehen melkte ich, und dann wuschen wir uns, wechselten die Kleidung und machten das Frühstück. Wir waren 13 Leute“, erzählt Karen.

Aber es ist nicht so leicht für Karen, das Album mit den Bildern ihrer Urenkeln hervorzuholen und zu zeigen und darin auch den lila Schal zu finden, den ihre 85-jährige Tochter gestrickt hat, nachdem sie mit dem Rollator zurück an ihrem Platz im weichen Sessel ist.

Dänemark hat sich sehr verändert seit Karen jung war. Frauen hatten in ihrem Geburtsjahr noch kein Wahlrecht, und zwei Weltkriege, drei Könige, eine Königin und 28 verschiedene dänische Statsminister hat sie gesehen und miterlebt. Obwohl der Alltag war hart, kann sie sich noch gut an den Bauernhof der Familie in der ersten Hälfte der 1900er Jahre erinnern. Sie lebte mit ihrem Vater, ihrer Schwester und ihrer Halbschwester zusammen auf dem Hof. Ihre Mutter starb jung im Alter von nur 28 Jahren, als Karen drei Jahre alt war, aber der Vater fand eine neue Frau.


Karen Egestad feierte Freitag den 110. Geburtstag
Schon als Kind und in ihren jungen Jahren trank sie keinen Alkohol – und das hat sie nie getan bis heute nicht. Sie hält es für eine schlechte Angewohnheit und kann darüber total verärgert werden, wenn junge Leute heute feiern und dabei Alkohol trinken. „Ich hatte auch kein Geld für Alkohol, als ich jung war. Ich habe 25 Kronen pro Monat verdient“, sagt sie. Trotz Inflation, erklärt Karen, waren die 25 Kronen mehr wert als heute, obgleich es auch damals nicht viel Geld war.

Karen Egestad war 56 Jahre mit demselben Mann verheiratet, bis er 1991 starb.

Sie war nicht der Typ, die sich die „Hörner abstoßen“ musste, bevor sie den richtigen gefunden hatte. Und als sie gefragt wurde, ob sie in ihrer Jugend viele nette Männer geküsst hat, lautet die Antwort. „Warum sollte ich Männern nachrennen und sie küssen, davon bekomme ich nur Tuberkulose“, sagt sie. Ihre Antwort zeugt von einer anderen Zeit, aber auch von einer Frau, die zu nichts einfach ja gesagt hat, und sie wusste, was sie wollte.

„Wir haben nie an Scheidung oder so etwas nachgedacht. Von so etwas oder dergleichen wussten wir nichts, aber ich war auch mit meinem Mann sehr glücklich“, erklärt Karen. Wenn man daran denkt, dass die heutige Scheidungsrate bei etwa 50 Prozent liegt, ist das besorgniserregend. Karen und ihr Mann haben sechs Kinder bekommen und groß gezogen. Heute hat Karen noch eine Tochter, die ihr geblieben ist, während die anderen vor einigen Jahren nach und nach gestorben sind. Es ist klar, dass Karen gerührt ist, wenn sie ihre Kinder und deren Tod erwähnt. Sie will auch nicht wirklich sagen, wie es sich anfühlt, die eigenen Kinder begraben zu müssen.

Neben ihren Kindern und ihrem Mann war Karen Egestad in jungen Jahren auch „Flügel-Frau“ eines Gymnastik-Teams, und zusammen mit ihrem Mann betrieb sie einen Elektroladen, in dem sie allerlei elektronische Geräte wie auch Radios und Fernseher verkauften. Allerdings hat Karen selbst nicht viel von der Technologie mitbekommen: „Wir hatten nur einen Fernseher, weil mein Mann es so wollte. Ich las und lese lieber die Zeitung, und ich beziehe noch jetzt die ,Jyllands-Posten‘ und das ,Randers Dagblad’“, sagt Karen. Sie ist der Meinung, die Menschen sollten auch heute noch auf diese Art und Weise ihre Nachrichten bekommen. Nach der Entwicklung des Internets und andere moderne Medien befragt, sagt sie, dass es mehr Sinn machen würde, die Zeit lieber mit sonst etwas sinnvolleres zu verbringen.


Karen in ihrem Sessel im Pflegeheim Møllegården in Hadsten.
Sie hat auch noch nie einen Computer gesehen. Das Wissen, dass es so etwas gibt, reicht ihr, aber es scheint nicht, dass sie ihn groß vermisst.

Karen hat den größten Teil ihres Lebens in Hadsten verbracht. Hier fühlt sie ich wohl und in Sicherheit. Sie hatte ihre Familie hier und auch ihre Laden. Und deshalb kannte sie jeden, sagt sie, und jeder kannte sie. Reisen dagegen war nichts für sie. Die einzigen anderen Länder, in denen Karen einmal kurz war, waren Schweden und Norwegen.

Obwohl Karen 110 Jahre alt geworden ist und die Bekannten und Freunde aus vergangenen Tagen gegangen sind, feierte sie ihren runden Ehrentag in ihrem neuen Zuhause mit ihren neuen Freunden dort. „Ich hatte viele Gäste. Wir waren 30 Personen. Sie kamen aus dem ganzen Land, und ich habe sogar Familie in der Schweiz und in Griechenland.“

Auch der Bürgermeister von Hadsten, Nils Borring, besuchte Karen und ihr Wohnzimmer mit Sesseln. Und zudem bekam sie zum dritten Mal Post mit Glückwünschen vom königlichen Schloss Amalienborg. Das erste Mal war es zum 100. Geburtstag, das zweite Mal zum 105. und jetzt wieder zum 110..

von

Günter Schwarz – 15.09.2018