Als ich Orwells dystopischen Roman Neunzehnhundertvierundachzig das erste Mal las, waren wir technologisch noch weit entfernt, von den Möglichkeiten Orwells Fantasien umsetzen zu können. Auch die Gesellschaftsnormen der in von Orwell beschriebenen Gesellschaft erschienen grotesk und geradezu beängstigend. 

Die Zeiten haben sich gewandelt, und wir haben das Jahr 1984 weit überschritten. Leider stellt man jedoch fest, dass Orwell mit seinen „Visionen“ alles andere als falsch lag. Fast könnte man sogar meinen, die Verantwortlichen hätten Orwells „Warnung“ als eine Art Anleitung missverstanden.

Dabei geht es weniger um eine 1:1-Umsetzung der in dem fiktiven Roman beschriebenen Umstände, als vielmehr um das Konzept und die Programmatik dieser Gesellschaft in Orwells „Ozeanien“. Hier erreichen wir eine Deckung, die man nicht wegdiskutieren kann. Inwieweit dieses Szenario nun von unserer Regierung gesteuert wird oder auch nur als gesamtgesellschaftliches Repressarium installiert wird, ist dabei weniger wichtig.

In Bradburys, ebenfalls dystopischem, Roman „Fahrenheit 451“ geht die soziale Repression keinesfalls von einem Staat aus, sondern „das Volk“ entschidet selbst, dass Bücher unglücklich machen und verbrennt diese. Nun mag man Bücherverbrennungen in Deutschland für vergleichsweise unwahrscheinlich halten, doch sind wir wirklich so sehr weit davon weg, wenn erboste „Gutbürger“ lauthals in den sozialen Medien Astrid Lindgren, Mark Twain und Karl May als „rassistische Kackscheiße“ deklarieren und stolz verkünden, Bücher im Altpapier zu entsorgen, damit deren Kinder mit diesem „entarteten Gedankengut“ nicht konfrontiert werden. Ich behaupte, dass man da von einer Bücherverbrennung gar nicht so sehr weit entfernt zu sein scheint.

Alternativ böte Orwell das Wahrheitsministerium, in dem eine Abteilung damit beschäftigt ist, „Unwörter“ in Zeitungen zu schwärzen. Ein Schelm, wer nun an das Zigeunerschnitzel denkt. Auch wir sind, nicht erst seit gestern eifrig damit beschäftigt, eine Art „Neusprech“ einzuführen. Dabei ist nicht nur das vollständige streichen politisch unkorrekter „Unwörter“ gemeint, sondern auch der Zwang einer genderneutralen Sprache. Das ist doppelplusgut und keinesfalls von einer Regierung gesteuert, sondern von einem gesellschaftlichen Mob der „Gerechten“. 

Regierungen enthalten sich auch (noch) einer Kontrolle der Bevölkerung mit Abhörsystemen. Die Wirtschaft tut sich da gar keinen Zwang an und hört uns über Alexa oder eingeschaltete Mobiltelefone ab. Zumindest ist es verdächtig, wenn man sich abends mit der Frau im Bett über Urlaub auf dem Campingplatz unterhält, dies sonst nirgends äußert oder postet und dann laufend Facebook und Instagramm-Werbung für Zelte, Outdoor-Schlafsäcke und Wanderzubehör erhält. 

„Krieg ist Frieden!“ So grotesk dieser Satz aus Orwells „1984“ erscheinen mag… wie „utopisch“ ist es, in einer Welt, in der unser Land Waffen an andere Länder liefert, um damit unseren Wohlstand/Frieden zu sichern.

Bei Orwell trifft man sich täglich zu „Hassveranstaltungen“, um kollektiv den Feind des Volkes, Emmanuel Goldstein anzuschreien und in einem Taumel kollektiven Hasses zu verfallen. Auch wir installieren unsere „Feindbilder“, die wir in kollektiver Eintracht verdammen. Ob es nun heute Frau Merkel und Morgen Herr Gauland ist, spielt dabei keine Rolle. Hass verbindet.

Spätestens bei Orwells Beschreibung der Flüchtlingsboote darf man ins Grübeln kommen. 

„ORWELL WAR KEINE ANLEITUNG!“ Diese Mahnung geht nun nicht nur an die Verantwortlichen in der Regierung, sondern auch an Konzerne oder ganz einfach „besorgte Mütter“, die ihre blöden Gören von Literatur fernhalten müssen, weil in den Wörter wie Negerkönige oder Apachenhäuptlinge vorkommen. 

Zum Glück werde ich wohl nicht mehr lange genug leben, um Zeuge zu werden, wohin sich diese destruktive Gesellschaft entwickelt.