Weshalb sieht man eigentlich kaum schwarze Schauspieler und Schauspielerinnen auf deutschsprachigen Bühnen? Die junge afrodeutsche Regisseurin Anta Helena Recke legte mit einem Theaterprojekt in München den Finger mitten in diese Wunde.


Moses Leo, Isabelle Redfern und Victor Asamoah (von links) in der Inszenierung von „Mittelreich“.
Anta Helena Recke, geboren in München, arbeitete am Berliner GRIPS Theater im Bereich Theaterpädagogik bevor sie 2011 das Studium der Szenischen Künste an der Universität Hildesheim aufnahm. In dessen Verlauf entwickelte sie verschiedene transdisziplinäre Performances und musik-kuratorische Projekte, wie zum Beispiel im Rahmen ihrer künstlerischen Ko-Leitung des transeuropa-Festivals 2015. Als Performerin und Assistentin in der ,,freien Szene” hat sie u. a. mit Gintersdorfer/Klaßen und Ana Borralho & João Galante zusammengearbeitet. In der Spielzeit 2015/16 und 2016/17 war sie als Regieassistentin an den Münchner Kammerspielen tätig, wo sie u. a. mit Susanne Kennedy, Philippe Quesne, Nicolas Stemann und Amir Reza Koohestani zusammenarbeitete.

Immer wieder hat sie sich gefragt, wie es sein kann, dass das Ensemble eines so großen, traditionellen Schauspielhauses ausschließlich weiß ist. „Das ist eine sehr laute Abwesenheit, sagt sie, „die aber niemandem aufzufallen scheint“.

Für ihre Abschlussarbeit hat sich die 29-Jährige Gedanken gemacht, wie sie dieses Fehlen von schwarzen Schauspielern sichtbar machen kann.
Die Idee ist so verblüffend wie einfach: Anta Helena Recke hat eine bestehende Inszenierung genommen, sie bis ins Detail kopiert, aber ausschliesslich mit schwarzen Schauspielern und Schauspielerinnen besetzt.

Bayrische Realität in Schwarz

„Mittelreich“ nach dem Roman von Joseph Bierbichler (Regie: Anna-Sophie Mahler) war 2015 eine der erfolgreichsten Inszenierungen der Münchner Kammerspiele. Sie erzählt eine bayrische Familiengeschichte über drei Generationen hinweg und verschneidet diese mit Brahms „Deutschem Requiem“.

Dass Reckes Wahl auf diese Inszenierung für die Spielzeit 2017/18 fiel, habe mit inhaltlichen Kriterien und mit der Qualität der Inszenierung zu tun. „Das traditionelle Münchner Publikum kann sich mit dieser bayrischen Realität sehr gut identifizieren, das war interessant für uns“, erklärt Anta Helena Recke.

Negative Kritiken

Die ersten Kritiken waren allerdings vernichtend – und in ihrer Argumentation latent rassistisch. Sie sprachen der Produktion die Professionalität ab, den Schauspielern die Qualität und sie sahen „Flüchtlinge“ auf der Bühne, wo zum großen Teil afrodeutsche Schauspieler waren.

Anta Helena Recke gibt sich gelassen: „Damit hatte ich gerechnet. Ich lebe in diesem Land, ich kenne die Strukturen und weiß, wie die Gesellschaft tickt“.


„Das zweite ,Mittelreich´ bleibt eine gedanklich überanstrengte Spielerei mit nicht einleuchtendem Rollentausch“, bilanzierte die „Neue Züricher Zeitung“.
Der Erfolg gibt Recke Recht

Nach der abwehrenden Häme der ersten Kritiken schlug das Pendel dann aber schnell um in Richtung Erfolg. Längst ist die „Schwarzkopie“, wie Recke ihr Stück nennt, eine der Inszenierungen der Spielzeit, die am meisten Aufmerksamkeit erreicht haben. Reckes Version von „Mittelreich“ ist zu Festivals eingeladen und wird im Mai sogar am renommierten Berliner Theatertreffen, das zum 55. Mal vom 04. bis 21. Mai 2018 stattfindet, im Stil der Appropriation Art mit einem Ensemble schwarzer SchauspielerInnen zu sehen sein.


Anta Helena Recke lässt Josef Bierbichlers bayerische Familiensaga „Mittelreich“ ausschließlich von schwarzen Schauspielern spielen.
Auch dort in Berlin standen bisher noch nie so viele schwarze Schauspieler und Schauspielerinnen auf der großen Bühne. Es bleibt nur zu hoffen, dass sie nicht vor einem ausschließlich weißen Publikum spielen werden.

von

Günter Schwarz – 10.03.2018